Es ist immer etwas Besonderes, etwas zum ersten Mal zu machen. Wie sagte Hermann Hesse: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und hilft, zu leben“. Die Besucherinnen und Besucher der Uraufführung (Studiokonzert ausgenommen) „Leahs Wandlung“ dachten ähnlich. Johannes Wohlgenannt Zincke schuf dieses Werk, beschrieben als ein musikalischer Neustart. Eine Wandlung braucht eine Richtung: Und zwar am besten jene zum Besseren.
Die Komposition von J.W. Zincke
Zincke ist ein österreichischer Komponist und Veranstalter, Intendant des „Dreamivals“ St. Margareta, geboren 1959 in Ludesch (Vorarlberg). Die Geschichte der „Leah“, eine Person, die eine dramatische Wendung im Leben erfährt, ist ein Geheimnis. Was vorgefallen ist, geht niemanden etwas an. Ein gescheiterter Traum steht im Mittelpunkt, Leah (wenn man dem Geheimnis schon einen Namen geben sollte) muss sich neu orientieren. Dass dies ein diffiziler und von Rückschlägen geprägter Prozess ist, zeigen die 14 musikalischen Szenen, die an diesem Abend von den Ausführenden ohne Pause bewältigt wurden. Der Komponist saß selbst im Publikum und verfolgte sein Werk. Die Besetzung umfasst Klavier, E-Piano, Synth Pad, Schlagzeug, Violinen, Viola und Violoncello.
Was durchlebt „Leah“?
Leah, die Hauptfigur, meint, sie bestimme und bewege alles in ihrem Dasein. Dabei wird sie in Wahrheit selbst bewegt, wie ein „Streichholz in der Streichholzschachtel eines Wanderers“. Drei Wochen in den Donauauen nördlich von Wien zeigen der Hauptfigur, dass Leben auch gut und frei sein kann. Sie formuliert elf Texte, erweitert sie und fügt neue Gedanken hinzu. Eine „Auszeit“ würde man sagen, die wieder auf den Weg des Lebens zurückbringt, aus einer Krise. Das greift aber bei Leah möglicherweise zu kurz. Die Verirrung der Leah wird also musikalisch zum Ausdruck gebracht. Wie bei allem, worüber nicht gesprochen werden kann, aber ebenso wenig geschwiegen werden soll!
Der Aufführung voran ging ein Brief von Rainer Maria Rilke an einen jungen Mann in der Militärakademie, vorgetragen von Paul Gulda. Der junge Mann solle die Fragen des Lebens lieben und schätzen lernen, die Antworten würde er irgendwann selbst leben. Die Verbindung zu Leahs Krise ist die Frage nach dem Weitermachen. Beginnt ein neues Leben? Gibt es das? Man soll nicht vorschnell eine Antwort geben, sondern die Selbsterfahrung walten lassen.
Plätschernde Irrfahrt bis zur gewaltigen Entladung – mit einem synth pad
Musikalisch reichen den enthusiastischen Künstlern bloße Akkorde längst nicht. Was wie eine lähmende, chaotische Irrfahrt bei den Teilen eins bis fünf wirkt (Leah erinnert sich – ungewisses Schweben), entpuppt sich ab Teil neun (sie wusste gar nicht mehr, dass es so ein schönes Leben geben kann) langsam als Befreiung von Altlast. Die Geigen (u.a. Maximilian Bratt, Viola: Alexander Eberhard vom Christine Lavant Quartett) bewegen sich öfters bewusst an der Grenze zum Erträglichen, um Leahs Zustand zu unterstreichen. Gewaltig präsentieren sich eine schließliche Entladung und die Aussicht auf den Himmel. Das Publikum ist sichtlich gerührt, das Schlagzeug (immer punktgenau im Dienste des Taktes: Igor Gross) bringt in die „neue Art der Klassik“ eine ganz neue Dynamik, macht spürbar eigene Stimmung. Eindrücklich und durch intensives Mitwippen geprägt ist der Einsatz von Stefan Eder am E-Piano/Synth Pad. Die Idee, dieses in einer über weitere Teile von der Wiener Klassik geprägten Serie zu verwenden, ist gut. Es macht sich bezahlt. Nicht nur einmal ist es der Atmosphäre der Szenen dienlich! Oft gibt das Klavier, welches den Hauptpart verantwortet, (Paul Gulda) zu Beginn der neuen Szene den Takt an und zieht dann die klangliche Spur durch Leahs Gang ins Ungewisse. Isabelle Eberhard am Violoncello lässt das Streichinstrument die Seelentiefen – wörtlich – ergründen.
Die Instrumente repräsentieren in einer sehr guten Einheit die Gebrochenheit: Leise, doch hoffnungsfrohe Überlegungen und den mutigen Verstand von Leah. Man ist gefesselt und gefordert, stellenweise von Brüchen und überschwappender Intensität irritiert. Die Musik klingt nicht nur in den Ohren, manchmal vibriert auch der Sessel, auf dem man sitzt. Dadurch, dass die Instrumente sich intensiv miteinander auseinandersetzen, fragen und antworten, wird die Aufführung noch greifbarer.
Die vierzehnte und letzte Szene heißt schließlich „Leah lebt. Sie liebt es, zu leben. Und niemals zuvor war es für sie so selbstverständlich.“
Das Publikum reagierte mit heftigem Applaus auf die leidenschaftliche Darbietung!
