Entschlossen für den christlichen Glauben ins ewige Leben – „Poliuto“ in der Stadthalle Ternitz, präsentiert von den Amici del Belcanto

Inhaltlich betrachtet ergibt sich bei Donizettis Werk – das Libretto stammt von Salvadore Cammarano – eine dramatische Handlung voll von zunächst gegensätzlichen Überzeugungen: Der Schauplatz ist Armenien im Jahre 257 n.Chr. (nach Christus). Die Christen können sich nur heimlich nachts versammeln. Poliuto möchte zum christlichen Glauben konvertieren und dies auch offen demonstrieren. Seine Gattin Paolina hängt dem Jupiterkult an und versucht ihn zu überzeugen, es nicht zu tun. Der Prokonsul Severo („der Strenge“) kommt als neuer Akteur, um die Christenverfolgung in Armenien voranzutreiben. Paolina liebte Severo früher, Poliuto ist immer noch überzeugt, dass sie ihn mit diesem betrügt.

Nearco, ein Freund Poliutos und Führer der Christen, weigert sich selbst unter Folter, den Namen eines jüngst getauften Christen preiszugeben. Poliuto tut es selbst. Als Poliuto als neu getaufter Christ angeklagt wird von Callistene, dem Hohepriester des Jupiter, fleht Paolina und betet zum ersten Mal zu Christus, Poliuto möge verschont werden. Es wurde ihn eine „schreckliche Strafe“ erwarten. Paolina sinkt zu Füßen von Severo, um ihren Gatten zu retten, doch Poliuto reagiert äußerst eifersüchtig und er erklärt seine unter Jupiter geschlossene Ehe mit Paolina für nichtig, wirft sogar den Altar um. Paolina wird von ihrem gütigen Vater Felice weggebracht, während Poliuto und Nearco gefangen genommen werden.

Poliuto träumt im Kerker der Arena von Paolina, dass sie unschuldig sei und in den Himmel auffahre. Sie erscheint tatsächlich vor ihm, beteuert, ihn niemals betrogen zu haben, und bittet ihn nochmals zu überlegen, ob er denn sein Leben geben wolle, um seinen Glauben auszuüben. Poliuto bejaht das. Schließlich lässt sich auch Paolina von dieser Glaubensstärke überzeugen, Christin zu werden und mit ihm in den Tod (ins ewige Leben) zu gehen. Im Finale betreten beide die Arena, um in den Himmel aufzufahren.

Was darf man von Gaetano Donizettis Werk erwarten, welches das Martyrium des christlichen Heiligen Polyeuktos, auf Italienisch eben Poliuto, zum Thema hat? Es handelt sich dabei um eine Oper, die man nicht wie andere wöchentlich auf etwaigen Spielplänen von Häusern findet. 1848 uraufgeführt, zehn Jahre nach der Entstehung(!), tut diese Oper auch 2024 im eigentlich beschaulichen Ternitz in Niederösterreich ihre Wirkung. Großer Andrang herrscht, die Halle ist ausverkauft und Erwartungshaltung vorhanden, zahlreiche Botschafter sind erschienen.

Der Präsident der Amici del Belcanto, Michael Tanzler, hält gerade die Begrüßungsrede, als er vom Bürgermeister der Stadtgemeinde Ternitz, Rupert Dworak, überrascht wird: Die Verleihung des Goldenen Ehrenzeichens der Stadtgemeinde Ternitz an ihn findet statt – ein freudiges Ereignis! Bravo! Elf Jahre sind die Amici nun schon mit selten gespielter Oper in der Stadthalle Ternitz vertreten.

Der belgisch-italienische Tenor Mickael Spadaccini weiß in Ternitz der Hauptfigur nicht nur stimmliche, sondern auch darstellerische Durchsetzungskraft zu verleihen. Der „Ur“-Poliuto der Originalversion in Neapel, Carlo Baucardé wäre wohl heute stolz auf seinen Nachfolger. Er überzeugt mit Strahlkraft und tenoralen Höhen sowie auch mit seiner Optik und der Leidensfähigkeit. Dass er an diesem Abend trotz Erkrankung seine volle Leistung brachte, verdient wahrlich Respekt und einen Sonderapplaus. Auf Spadaccini wartet nach der Pause die „Lira d‘ Argento“, die Silberne Lyra als Auszeichnung (wird seit 1990 vergeben), verliehen vom Präsidenten der Amici. Bravo!

Übrigens erhalten alle Künstler an diesem Abend als Anerkennung Medaillen von den Amici!

Der Prokonsul Severo alias Vittorio Vitelli, ausgestattet mit profundem Bariton, agiert sowohl energisch als auch mit zurückgenommenem Entsetzen. Die schauspielerischen Möglichkeiten des aus Ascoli Piceno stammenden Sängers sind durchaus beeindruckend, wird er doch auch Ende 2024 der Baron Scarpia in Tosca im Teatro Petruzzelli in Bari sein.

Der Hohepriester des Jupiter, Callistene, vom kroatischen Bass Luciano Batinic interpretiert, besticht durch seine klare Führung und Batinic lässt ebenso als Extra eine exzellente Intonation hören.

Eine überzeugende Paolina ist Iano Tamar, die georgische Sopranistin mit großem Repertoire und absolut sicherer Höhe. Sie versucht ihren Gatten zur Einsicht zu bringen und tut dies mit furchteinflößender Stimme. Nur einmal glaubt man, sie würde aus „Rigoletto“ zitieren. Es hört sich beinahe an wie die Worte „Gualtier Malde…“. Aber das ist eine ganz andere Angelegenheit. Als sie die innere Wandlung durchmacht, wird es auch nach außen hin deutlich, und ihre Mimik verändert sich. Eine mögliche Interpretation ist die Freiheit, Jupiter nicht mehr zu dienen. Tamar, eine erfahrene Bühnenpersönlichkeit, vermag durch Technik und Stil die Rolle so anzulegen, dass man nicht umhin kann, diese auch zu bemitleiden. Die neue Christin kann ihren Glauben nur sehr kurz auf Erden leben, doch schließlich soll Tamar gemeinsam mit Spadaccini ihre Himmelsfahrt im Finale der Oper finden.

Einen Fingerzeig gibt dem Publikum in Ternitz Alexander Gallee in der Rolle des Christenführers Nearco, der Poliuto ein treuer Gefährte ist. Dem Doktor der Medizin und Sänger mit eigenen Operettenfestspielen gelingt es, die positive Entwicklung seiner Stimme zu demonstrieren.

Gütige Akzente mit gewohnt solider Technik und angenehmer Stimmfarbe setzt Bariton Stefan Tanzer (seit 30 Jahren bei den Amici und auch Gründungsmitglied) von der Wiener Volksoper als Felice (für Bass geschrieben), Gouverneur und Paolinas Vater. 

Der singende Darsteller Gerhard Motsch hat in der Rolle eines Christen ebenso seine feinen Momente.

Der große Vorteil der konzertanten Aufführung liegt darin, dass der Fokus sowie die Konzentration voll beim Belcanto bleiben können. Ein Bühnenbild mit dem Tempel des Jupiter oder dem Haus des Felice bleibt der Imaginationskraft des Publikums überlassen, ohne Gefahr zu laufen, die Szenerie zu überladen.

Der Chor der Staatsoper Banská Bystrica (Slowakei) erweist sich als (ge-)wichtige und laute (!) Stütze vom ersten „Silenzio“ des Werkes bis zum „Gloria!“. Die Einstudierung liegt bei Daniel Simandl. Chefdirigent Marián Vach (er war auch künstlerischer Leiter des dortigen Opernhauses sowie Direktor der Kammeroper des Slowakischen Nationaltheaters) motiviert und unterstützt die Künstler mittels eines harmonischen Dirigats und konstanter Beeinflussung des Orchester-Geschehens.

Die extra angereisten Musikerinnen und Musiker geben ihr Bestes, diesen Abend der Aufführung zu einem denkwürdigen zu machen.

Einen kleinen Wermutstropfen bildet die Tatsache, dass dieser Oper keine zweite Vorstellung in Ternitz beschieden ist. Denn man hat nicht enden wollende Bravi-Rufe vernommen, und stehende Ovationen waren an diesem Abend mehr als angesagt! Wer nicht dabei war, hat definitiv etwas versäumt.

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