Exquisite Arien treffen auf wunderbaren Most, Luftgetrocknetes und Käse – vierter Mostheuriger der „Amici del Belcanto“- Mostheuriger Tolstiuk in Natschbach/NÖ

Ein spezielles Ereignis im Sommer ist die Verbindung zweier Elemente, die man nicht zwingend in Symbiose vermutet. Zum Einen sind da die Aromen von typischen, echten Mostheurigenspeisen zu finden, die Appetit auf mehr machen. Zum Anderen finden sich profunde klassische Sängerinnen und Sänger auf der kleinen „Bühne“ mit bemerkenswerter Akustik vor den gemütlichen Heurigenbänken im jüngst umgebauten, überdachten Hof der Familie Tolstiuk ein. Auf den Tischen steht naturtrüber Apfelsaft, die Krügerl krachen fröhlich aneinander, man plaudert über vergangene Opernaufführungen und die dazugehörigen Besetzungen, so mancher sieht sich die Künstler aus der Nähe an – es herrscht fast familiäre Stimmung. In das Stimmengewirr klatschen sodann die Hände des Präsidenten des Vereins „Amici del Belcanto“, um dieses in Erwartung der Darbietungen zu beenden.

Michael Tanzler kündigt in seiner unnachahmlich enthusiastischen Weise gute Unterhaltung mit sehr anspruchsvollen Opernarien und Duetten an – er führt das musikalisch und kulinarisch gesehen hungrige Publikum sicher, mit ansprechenden und kompetenten Hintergrundinformationen durch den mit heißen Temperaturen gesegneten Mostheurigenabend. So erfährt man, dass „Rusalka“ ein von ihm sehr geschätztes Werk darstellt. Wann immer er ins Nachbarland Tschechien unterwegs ist, hat er eine solche CD dabei, um sich einzustimmen.

Das sehr bekannte Lied an den Mond, welches im Original Mesíčku na nebi hlubokém heißt, aus besagter Oper singt die Russin Olesya Golovneva, bekannt aus Opernhäusern wie Wiesbaden oder der Wiener Volksoper, in Niederösterreich wohnhaft, mit Zärtlichkeit und einer Aufrichtigkeit wie selten. Komponiert hat das Werk Antonin Dvořák.

Die Amici haben sich an diesem Sommerabend überhaupt einiges vorgenommen. So darf das Duett „Dottore, perdonate!“ aus dem „Liebestrank“ von Donizetti, einem der Belcanto-Spezialisten, zu einem der Highlights des Konzerts anwachsen. Dafür sorgen der gefragte Konzertsänger aus Kirchberg am Wechsel in Niederösterreich, Josef Wagner mit seinem strömenden, eindrucksvollen Bariton und der Edlitzer Welttenor Norbert Ernst, im Wagner-Fach erfolgreich und an der Wiener Staatsoper mit beachtlicher Karriere aufwartend. Die Stimmen sitzen und Komödiantik und Mimik sind noch das „Tüpfchen auf dem i“. Ernst interpretiert ebenso gefühlvoll das bekannte „Una furtiva lagrima“.

Wagner und Golovneva performen dann kraftvoll und präsentieren wie ein Fingerzeig das Duett von Tatjana und Onegin aus der Oper „Eugen Onegin“ von Tschaikowsky. Sprachlich ist sie hier natürlich im Vorteil. Sie leiden beide vor Liebe. Dramatik pur, während man sich den Apfelsaft schmecken lässt – vollkommen unerwartet und genau deshalb reizvoll. Schön wäre noch gewesen, wenn Wagner wirklich wie laut Regieanweisung „davongestürzt“ wäre.

Ebenso versatil im Solobereich zeigt sich Wagner mit „Udite, o rustici“ als herumziehender „Dr.“ Dulcamara. Diese Kavatine aus dem Donizetti-„Liebestrank“ gehört schon zum Amici-Standardrepertoire, sang sie bereits Andrea Martin beim Jubiläumskonzert zum 40-jährigen Bestehen im Mai 2023. Akzente setzt Wagner auch mit „Votre Toast“, dem Toreador-Klassiker aus „Carmen“ von Bizet. Die dazugehörige „Seguidilla“ steuert energiereich und charmant Szilvia Vörös aus Ungarn bei, wo sie von „Lillas Pastia“ singt. Sie wird im Herbst dieses Jahres ihr Debüt als Preziosilla in Verdis „La forza del destino“ in Barcelona feiern, wie Tanzler ankündigte.

Stefan Tanzer, Bariton, Gründungsmitglied der Amici, hat große Momente, die er voll auskostet, wenn er das Fiakerlied singt und dazu seine Mimik spielen lässt: „I führ‘ zwa harbe Rappen…“.  Schon Paul Hörbiger wusste, wie man richtig Eindruck schindet, und auch Tanzer bewährt sich mit diesem tollen Auftritt. Später kommt er nochmals als „Phantom der Oper“ zurück und trägt „All i ask of you“ vor. Spätestens da hat er die Ohren und Herzen der Besucher gewonnen.

Golovneva bittet den „Babbo“ anschließend noch um „pietà“. Gerne und mit Begeisterung erläutert Tanzler die Situation – Lauretta aus „Gianni Schicchi“ (Puccini) bittet darum, die Verbindung mit ihrem Geliebten Rinuccio zu ermöglichen. Ihre Kavatine, wie sie ihren „lieben Papa“ anfleht, wurde zur Opern-Weltliteratur. Ansonsten würde sie sich glatt im „Arno ertränken“ – „ma per buttarmi in Arno“.

Nina Violetta Aichner, Pianistin international und mit Lehrauftrag an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, schlüpft in die Rolle eines Sinfonieorchesters, und das solo und mit Bravour. Clemens Alexander Frank, der junge niederösterreichische Sänger, welcher ab September im Pariser Opernstudio dabei sein wird (alles Gute für ihn!) und schon beim Mostheurigen Tolstiuk bei einer der vorherigen Ausgaben gesungen hat, musste leider bereits Richtung Paris abheben. Hoffentlich ist er in Zukunft wieder zugegen.

Einen sonnigen (ungeprobten) Abschluss der Sängerschar gibt es mit dem herrlichen ’O sole mio von Di Capua, einem Amici-Klassiker, wo alle zum Mitsingen aufgefordert werden. Zum Schluss sogar mit eingefordertem Spitzenton, wo Tanzler als „Maestro suggeritore“ fungiert.

Zur herzlichen Gastfreundschaft der Familie Tolstiuk und dem wunderbar und schmackhaft angerichteten Buffet, welches die Gaumen verwöhnte, kam also auch Genuss für die Ohren – dieser Abend ist jeden Sommer wirklich nur zu empfehlen.

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