
Foto: (c) Klingers Kulturpavillon
Das Teatro Regio in Turin – laut Eigendefinition das beliebteste Opernhaus Italiens – brachte im Oktober 2024 ein einzigartiges Projekt auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Die Opernheldin Manon (Lescaut) sollte in drei verschiedenen Inszenierungen dreier verschiedener Komponisten, unter der musikalischen Leitung von drei Dirigenten ihr Schicksal durchleben und schlussendlich ihr Ende finden. Der Regisseur blieb bei allen drei Versionen derselbe: Arnaud Bernard, 1966 geboren, in Strasbourg studiert, war er Violinist im dortigen philharmonischen Orchester, inszenierte Oper von Londons Covent Garden bis zum Teatro Colon in Buenos Aires. Manche kennen ihn von der „Carmen“-Inszenierung der Oper im Steinbruch St. Margarethen 2023.
Mit der Verpflichtung dieses Regisseurs kommt sein Faible für eine andere mediale Ausdrucksform zum Vorschein. Bernard baut in allen Inszenierungen der Manon (Lescaut) FILMISCHE ELEMENTE ein. Deren Aussage nicht nur einmal unklar bleibt.
Ein Zitat vom Teatro Regio:
Der künstlerische Leiter Cristiano Sandri: «Wir haben alle drei Inszenierungen dem Regisseur Arnaud Bernard anvertraut. Als ein einziger Deus ex machina will er die drei Werke durch das Vergrößerungsglas des Kinos erzählen, genauer gesagt über drei legendäre Epochen des französischen Kinos, das auch mit der „Filmstadt“ Turin eng verbunden ist.»
Auf dem Plakat zur Ankündigung der Opernserie ist MANON – MANON – MANON zu lesen, um zu verdeutlichen, dass sich die gezeigten Frauenfiguren voneinander unterscheiden..in ihrem Leben, ihrem Leiden, ihrem Lieben?

Foto: (c) Klingers Kulturpavillon
MANON LESCAUT VON DANIEL AUBER
Die erste der Aufführungen ist die opéra-comique von Daniel Francois Esprit Auber, „Manon Lescaut“, die auf dem historischen Roman „Die Geschichte des Chevalier Des Grieux und der Manon“ von Abbé Prévost fußt. Die Uraufführung erfolgte 1856 in der Opéra Comique Paris. Ein Blick auf die Bühne verrät: Alles ist dezent Grau in Grau gehalten, Manon Lescaut ist ein quirliger Lockenkopf im historischen Kostüm teils mit Puffärmeln, die sich von ihrem Des Grieux bezirzen lässt. Zum komödiantischen Charakter (damals) passt, dass die beiden ausgelassen in einem freien Stil tanzen und dazu eine gebratene Sau aus Plastik am Bankett „herumschwebt“. Rocio Perez und Sebastien Gueze mimen das Hauptpaar Manon Lescaut und Des Grieux überzeugend, in ihrer Zeit verortet und durchaus auch dezent leidenschaftlich. Perez verfügt über eine aparte, wenn auch stellenweise etwas dünne Stimme, Gueze ist ein für seine Verhältnisse aussagekräftiger Chevalier. Der dritte Akt auf einer reichen Farm am Mississippi stellt einen starken visuellen Beitrag dar. In dieser Inszenierung überzeugen die filmischen Elemente durchaus mehr als in anderen. Die Film-Manon deckt sich mit der dargestellten recht gut. Sie stirbt „ästhetisch“. Trotz allgemeiner Stimmigkeit kann es vorkommen, dass wie hier, man sich subjektiv einfach nicht angesprochen fühlen mag – von einer Inszenierung. Der Coro agiert unter Ulisse Trabacchin fein. Am Pult des Orchesters des Teatro Regio Guillaume Tourniaire. Er versteht die Musik Aubers und weiß mit den melodiösen Feinheiten umzugehen.
MANON von Jules Massenet
Die Manon von Massenet ist eine opéra comique in fünf Akten, das Libretto von Meilhac fußt ebenso auf dem Roman von Prevost. Uraufgeführt wurde die Manon im Jahre 1884, ebenfalls an der Opéra comique in Paris.
Als zweite Inszenierung Bernards zeigt er einen dunklen Gerichtssaal, die Richter „thronen“ über dem Geschehen. Von Grau zu Schwarz also. Dennoch wird die „Nicht-Farbe“ durchbrochen von vielen hellen Kostümelementen, was wieder Frische verleiht. „Verurteilende Augen“ stehen also über Manon, die diesmal vom Komponisten Jules Massenet konzipiert wurde. Auf den ersten Blick mehr Gerichtsdrama als Oper. Wo Bernard Anleihe für die Frauenfigur hernimmt, wird angesichts der filmischen Beispiele glasklar. Immer wieder taucht die Frau aus dem Film La verite (Die Wahrheit) von H. Clouzot aus 1960 auf. Es ist Brigitte Bardot, eine Ikone des französischen Films und damals als hocherotisch angesehen. Ekaterina Bakanova mimt eine rebellische, dennoch zart besaitete Manon mit toller Stimme. Optisch ist sie nicht sehr von Bardot zu unterscheiden, dank blonder Perücke. Gewagt ist die Film-Szene, wo sich Bardot auf einem weiß bespannten Bett selbst streichelt und Bakanova dies gleich im Anschluss auf offener Bühne nachspielt. Später folgt ein Wutausbruch ob der gewaltsamen Entführung ihres Geliebten und die Pölster fliegen. Diese Inszenierung wartet – obgleich sie stellenweise modistisch und elegant ist – auch mit brutalen Szenen und Gewalt gegen Manon durch Männerhand auf. Manon wird zu sexuellen Handlungen gezwungen, was dem verursachenden „Ekel“ Morfontaine (T. Morris) sichtlich Freude bereitet. Sie ist selbst gewaltbereit, wenn es um die Verteidigung geht. Ihr Des Grieux Atalla Ayan ist selbstbewusst und doch verführbar. Ein wahrer Held im Orchestergraben ist der routinierte Evelino Pidò, der sichtlich mitleidet und mitlebt. Ein Italiener, der die Musik in seinen Venen hat. Orchester und Chor (unter Ulisse Trabacchin) des Teatro Regio sind toll in Form. Kein Wunder, für den Turiner Pidò ein Heimspiel.
Manon Lescaut von Giacomo Puccini
Puccinis Version ist Operngängern wohl am ehesten vertraut, es ist die einzige italienische Ausgabe. Hier ist man am Originalschauplatz der Uraufführung. Diese erfolgte bei der Oper in vier Akten im Jahre 1893 hier, am Teatro Regio Torino.
Die große Kiste mit Filmschätzen kann der Regisseur hier wieder nicht geschlossen lassen, ab und an „staubt“ es heraus. Szenen geraten sehr lange, erzählen gesamt jedoch eine poetische Geschichte. Es ist ebenso schön, dass Elemente der italienischen Commedia dell‘ Arte in die Inszenierung Eingang finden, mit Arlecchino ?! Besonders im Gedächtnis bleiben die „wackelige“ Wüstenszene, wo sich Manon – sehr gut, stimmlich wie auch schauspielerisch – Erika Grimaldi und Des Grieux Roberto Aronica – etwas gesetzt, wiederfinden und das in großen Lettern angekündigte „EMBARQUEMENT“ (für Verladen, Einsteigen) für die Schiffsüberfahrt gen Vereinigte Staaten, die filmisch sehr in die Länge gezogen wird. Die Sterbeszene Manons in der Wüste, wo sie kein Wasser mehr findet, ist eine der berührendsten. Leider unterbrochen von der hier völlig überflüssigen Filmeinlage! Diese am Ende hätte sich der Regisseur gespart!
Der Dirigent Renato Palumbo überzeugt nicht so ganz, manchmal ist etwas „Schleppen“ an der Tagesordnung, man spürt oft Elemente des Films mit der Musik „verschwimmen“. Der Chor ist gut eingestellt.
Alle Videos (Schlussapplaus der Aufführungen): (c) Klingers Kulturpavillon