Für viele aus dem ihn verehrenden Publikum war dieser Mensch untrennbar mit dem „Jedermann“ oder Johann Nepomuk Nestroy verbunden. Kein anderer, so die Meinung, konnte sich so einfühlen in den „Zerrissenen“ oder den Titus Feuerfuchs. Kein anderer vollbrachte so akrobatische Höchstleistungen auf der Bühne, etwa wenn er mit seinem Lieblings-Bühnenpartner Otto Schenk stritt oder versuchte es sich auf einem Sessel recht umständlich bequem zu machen. Die Rede ist von Regisseur und Menschendarsteller, Kammerschauspieler und Charakter-In-Sich-Aufnehmender Helmuth Lohner.
Geboren wurde er als Einzelkind in Wien Ottakring, am 24. April 1933. Oft verbrachte er Zeit bei seiner Großmutter, die ihn umsorgte. Seine ersten Engagements nach einer (Pflicht-)Lehre als Chemigraph, einem heute nicht mehr existenten Beruf, führten ihn nach Baden bei Wien.
Übrigens, wie er selbst sagte, arbeitete er nur zwei Tage lang in seinem erlernten Beruf. Dann wurde die Bühnen-Sehnsucht bereits zu stark und das Verlangen, Theater zu spielen, war größer. Er wirkte zunächst in „seichten Unterhaltungsproduktionen“ mit, was er später bereute. Dazu zählten unter anderem der Film „Das Wirtshaus im Spessart“. Warum eigentlich tat er das rückblickend? Er wollte „sich einen VW kaufen“, wie er selbst sagte. Seine ewige Faszination blieb immer das Musiktheater. Aber er fand sich dafür „nicht gut genug“, konnte „nicht gut genug singen“. Seine Couplets in Nestroy-Stücken sind nichtsdestotrotz legendär und sicher ein Kulturgut, das von ihm bleiben wird. Man denke nur an Kampl: „Es is´ Olles uralt, nur in anderer G´stalt, gegen Brechreiz und Glatzen, Resonanzfeldmatratzen…“ Überhaupt war Lohner ein „Zweifler“, einer der ständig mit sich haderte, ob er denn genau und gut genug arbeite. Er war sich als Darsteller nie genug, wollte mehr. Er forderte sich selbst immer heraus und ging ans Limit. Körperlich war er fit wie ein Turnschuh in seinen Produktionen, er hüpfte, boxte, kletterte und ließ sich für Sketche mit seinem „Liebling“ Otto Schenk als Gesangslehrer und ihm als Gesangsschüler sogar weit in den Mund, bis zum „Zäpfchen“ schauen. Alles Indizien, die darauf hindeuten, dass dieser Mensch sich für das Theater hingab, ja dafür lebte, die bestmöglichen und realistischsten Szenen zu spielen. Wer ihm zusah, merkte, wie sehr er sich hineinlegte, wie groß seine Leidenschaft in dieser Hinsicht gewesen sein muss. Am Anfang konnte er vom Theaterspielen noch nicht leben, verdiente wenig. 1953 kam er an das Theater in der Josefstadt, das er viel später mit großem Enthusiasmus leiten sollte. Er war auf der Probe mit Größen wie Fritz Kortner, der ihm riet: „Lohner, denken Sie darüber nach, was Sie reden!“. Den so ersehnten literarischen und darstellerischen Tiefgang fand er endlich in den Fernsehspielen, so wie die Sketche, die Charakterrollen, die er nach und nach interpretierte, und auch bei den Salzburger Festspielen, wo er 25 Jahre (!) lang unterschiedliche Rollen spielte. Im „Jedermann“ spielte er drei Rollen: Den Tod, den Teufel und den Jedermann. Eine wahnsinnig anstrengende Mischung! Aber von Schonung, wollte Lohner darstellerisch nichts hören. Er dachte immer darüber nach, wie er der Kunst gerecht werden konnte. Selbst wenn er zu Hause für seine Kinder als liebevoller Vater kochte und nebenher auch den Haushalt führte.
Abwechslung und einen Ausgleich zum Theater boten Lohner die Berge. Er liebte den Kilimandjaro. Im „Talisman“ von Nestroy heißt es: „Ich habe meinen Wohnsitz mit der weiten Welt vertauscht.“ Ein Satz, der vielleicht auch in Helmuth Lohners Leben seine Gültigkeit hatte. Denn mit ebensolcher Leidenschaft, mit der er auf der Bühne alles von sich gab, reiste Lohner in fremde Länder, oft allein. Nur um mit sich zu sein, er brauchte nicht viele Menschen um sich, war ein „Eigenbrötler“ im liebenswerten Sinn. Er sagte, man werde bestraft, wenn man sich in den Bergen überschätze. Man müsse auch wieder absteigen können. Riesige Publikumserfolge feierte Lohner mit seinem Bühnenpartner Otto Schenk in den Kammerspielen als „Halpern & Johnson“, in der Laufs/Jacoby-Posse „Pension Schöller“ mit köstlichem, antrainiertem l/n-Fehler. Im Bereich Musiktheater inszenierte Lohner fünf Mal bei den Seefestspielen Mörbisch, immer mit durchschlagenden Erfolgen, „Eine Nacht in Venedig“ (1999), „Die Csárdásfürstin“ (2002), „Die Lustige Witwe“ (2005), „My Fair Lady“ (2009) und „Die Fledermaus“ (2012), wo er seinen (leider letzten) Frosch gab. Man mag natürlich immer eine fixe Idee haben, wer diese urwienerische Figur, die immer ein wenig „angesoffen“ ist, verkörpern soll.
Der Frosch darf alles, und Lohner durfte sich in diese Rolle voll hineinbegeben, mit allen Tiefgründen und Lachern. Lohner, stets da wie dort um Authentizität bemüht, stattete diese Rolle mit allen Details, die wünschenswert waren und sind, aus. Er wird auf jeden Fall auch für diese Rolle ein Maßstab bleiben. An der Wiener Volksoper durfte man sich über zwei Regiearbeiten von ihm freuen: „Boccaccio“ von F. von Suppé und „Die Zauberflöte“ von Mozart. In Punkto Regie wird er als Menschen-Anleiter, Anstifter zur Komödie immer mit der gewissen Melancholie, genauso wie im dramatisch-traurigen Bereich, unvergessen sein. Seine allerletzte Regiearbeit „Schon wieder Sonntag“ in den Wiener Kammerspielen stattete er mit allen maßgeblichen Details aus. Im Herbst hätte er in „Anatol“ am Theater in der Josefstadt, welches er von 1997 bis 2006 leitete, spielen sollen. Leider kommt es dazu nicht mehr. Auch trotz seiner schweren Krankheit arbeitete er bis zuletzt an sich und an anderen.
Lieber Helmuth Lohner, Ruhen Sie in Frieden und ohne Schmerzen!
-Martina Klinger-