Manchmal spielt das Schicksal seltsame Spiele: Auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper für 08. Mai 2017 war die berühmt-berüchtigte Wallmann-Tosca (also die „alteingesessene“ Tosca in der Inszenierung von Margarethe Wallmann) angesetzt. Singen sollten „unser aller“ Jonas Kaufmann und Angela Gheorghiu, sowie als Scarpia der Italiener Marco Vratogna. Aber Gheorghiu wurde krank, sagte für den Abend ab. So wurde eine ebenso hochkarätige Einspringerin gesucht: Man fand sie in Gestalt von Martina Serafin, welche in Wien geboren, aber in Italien zu Hause ist. Gewissermaßen war es also ein Heimspiel. Und es bewahrheitete sich ein weiterer Artikel: Die Stimmen müssen stimmen – ein mögliches neues Traumpaar der Oper ?
Nun wollen wir uns also einmal wieder der „Stamm“-Tosca der Wiener Staatsoper zuwenden, die in verschiedensten Ausführungen bereits behandelt wurde.
Der erste Akt verlief eher unauffällig, große Leistungen waren hier noch ein wenig zurückhaltend vorgebracht. Dirigent und Debütant Eivind Jensen agiert schlagkräftig.
Clemens Unterreiner hat in Cesare Angelotti eine „neue Traumrolle“ (?) entdeckt, die er bereits zum wiederholten Male im Haus am Ring verkörpert. Man muss es einfach mal sagen: Trotz aller Hektik und Fluchtversuch, trotz wilder, abgekämpfter Frisur, verzweifelter Mimik; der Kerl ist immer noch sehr fesch! (Leider bringt er sich alsbald im Stück um). Stimmlich auch auf der Höhe, und top motiviert, was will man mehr! Ein anderes Kapitel ist Paolo Rumetz als Mesner, er ist lieb, harmlos, ein bisschen blass um die Nase. Wirkt auch ziemlich verkleidet, eigentlich ist er für andere Rollen besser besetzt. Da merkt man schlicht, er steckt in der falschen Kutte. In weiteren kleineren Partien (Spoletta, Scarrione, Schließer) waren Wolfram Igor Derntl, Mihail Dogotari und Ayk Martirossian sehr bemüht und fügten sich ein.
Als Marco Vratogna als der „Böse“ Scarpia erscheint, erzittert man zunächst nicht. Man kann auch nicht wirklich festmachen, woran das liegt. Besonders groß ist er nicht, besonders grimmig „schaut“ er nicht. Seine Bosheit liegt mehr im Detail. Und hier schlägt sie umso mehr zu. In Gedanken versunken, aber bereits im nächsten Moment sehr listig wirft er Martina Serafin als Tosca ein hintergründiges „dolce signora“ zu, als sie beten gehen möchte. Sie wird kurz schwach, wendet aber dann wieder ab. Sie gibt in diesem Akt eine gestisch starke Tosca, sie erscheint imposant, sehr würdevoll. Die Stimme muss beim ersten Auftritt kurz ihren Platz suchen. Das Piano ist unvergleichlich gut, Tosca wehrt sich somit auf subtile Weise gegen Scarpias Versuche, sie um den „Finger zu wickeln“. Sie agiert ausdrucksstark, man möchte sie nicht weinen sehen. Dazugesagt sei auch, dass die Künstlerin diese Rolle „im kleinen Finger“ hat, möglicherweise ist sie ihr auch sehr ans Herz gewachsen. Sie sagte selbst im Interview, dass Tosca eine sehr starke Frauengestalt Puccinis sei, welche aber nicht zu sehr dem Neid und der Eifersucht anheim fallen sollte, wenn es um die Interpretation geht. Sie versteht die leidende Sängerin sehr gut, die in jedem Akt anders auftreten muss, aus einer anderen Ausgangssituation heraus agieren muss. Bei Martina Serafin entsteht überhaupt der Eindruck, dass sie die Rolle spielt, und nicht abspult. Sie ist lebendig, stark, kräftig, dabei elegant im Ausdruck.
Beim „Te Deum“ denkt Scarpia alias Vratogna wirklich, dass er in Toscas Herz „nisten“ wird. Das „Pronto Sospetto“ kostet er mit süffisanter Mimik aus, weil er bereits siegessicher ist. Beim Übertönen des Chores hat Marco Vratogna merklich kein Problem, er bleibt angenehm hörbar. Das ist beileibe nicht bei jedem Sänger der Fall.
Ja, und „unser aller“ Jonas, Jonas Kaufmann? Was ist mit ihm, der nicht nur die Kartenpreise ein gutes Stück anhebt, sondern auch das Blut, die Gedanken und die Gyri seiner treuen Fans in Wallung bringt? Er agiert verlässlich: Und das ist jetzt nicht einfach so gemeint. Verlässlich, das heißt doch nichts Besonderes, nicht wahr? Verlässlich in dem Sinne, dass man sofort, wenn er die Bühne betritt, den Eindruck hat, er brauche nur einen kleinen Ton von sich zu geben, nur mit einer seiner eleganten Bewegungen das Jackett abzulegen, damit es „seinem“ Publikum schon zu viel wird. Man muss sagen: Selten gibt es einen Künstler mit einer solch ausgeprägten Bühnenpräsenz. Mit einer solchen stimmlichen Präsenz. Dieser Mann hat das gewisse Etwas, das man nicht erlernen kann. Der Cavaradossi ist an jenem Abend „nur“ ein Mantel, seines großen Könnens. Er hat nicht den Ansatz von Mühe, Anstrengung, es sieht so leicht aus. Großes Lob an dieser Stelle!
Der 2. Akt: Als ihm die Diva fehlt, ist Scarpia alias Vratogna recht ausdruckslos. In seinen imposanten Stiefeln, an seinem eigenen Speisetisch sitzend, fühlt er sich merklich wohl. Vratogna ist deutlich im Ausdruck, seine Mimik wechselt gekonnt von „böse“ zu „gespielt freundlich“ und dann wieder „süffisant“. Angenehm seine Stimme, große Ausbrüche bietet sie jedoch eher nicht. Er schreit seine Aggression nicht heraus, er agiert fast nobel über sein Gesicht, seinen Ausdruck. Brutalität fehlt ihm äußerlich aber gänzlich, er wirkt fast auf eine seltsame Weise schon sympathisch..?!
Kaufmann strahlt wieder mehr „Italianitá“ aus, was viele freut, fein sind seine Bewegungen. Cavaradossi auf-und abschreitend, seine Grenzen abwägend, auf dem Prüfstand befindlich. Scarpia zeigt hier ihm gegenüber wenig Verständnis, wird streng, hat keine Lust auf Spiele mehr. Sein italienischer Gesang ist originär (seiner Herkunft geschuldet), nichts Hartes ist zu erkennen. Serafin mischt sich in die Szene, erscheint zugleich damenhaft und herrschaftlich.
Bereit ist Tosca, zu verhandeln, Scarpia mustert sie Appetit generierend. Sofort wird seine Stimme noch weicher, sie hingegen zeigt einen verhärteten Ausdruck und verharrt den Handschuh schwingend, auf dem Liegesofa. Vratogna scheint ein sehr aufmerksamer Sänger zu sein, er beobachtet seine Mitspieler(innen) genau. Zu keinem einzigen Zeitpunkt „schleimt“ sein Scarpia, was man von anderen Interpreten dieser Rolle nicht behaupten kann. Verzweifelt schreiend wirft sich Tosca in die Mitte des Raumes, als Jonas Kaufmann als Cavaradossi nicht sichtbar (aus dem Off) gefoltert wird. Ihr wiederum beleidigter Gesichtsausdruck, als Scarpia sich weigert, die Folter zu beenden, ist eine Feinheit. Die Stimme entfaltet an dieser Stelle viel Kraft und viel angebrachte Verächtlichkeit kommt zum Vorschein bei Serafins Tosca. Wut zeigt sie später, eine Kampfszene zwischen Tosca und Scarpia gerät sehr heftig, als Martina Serafin ihren Kopf gegen Marco Vratognas Brust wirft. Bei all ihren sängerischen Verzweiflungsschreien wirkt sie immer noch sehr fokussiert und konzentriert. Jonas Kaufmanns Cavaradossi bot hier stimmlich noch keinen sehr verzweifelten Ausdruck, erst als er mit Theaterblut überströmt aus seiner Folter entlassen wird, wird es wieder sehr intensiv. Er liegt am Boden, und es sieht sehr zärtlich aus, als Serafin sich über ihn beugt und ihm zu helfen versucht. Jonas Kaufmann zeigt hier eine sehr verletzliche, weiche Seite des Malers, wie hingelegt liegt er da. Für weitere Verhandlungen, so denkt sich Martina Serafin, kann ein bisschen spanischer Wein nicht schaden (alias Trauben- oder Himbeersaft), und so greift Tosca zum Glas.
„Von einer schönen Frau“, so kann man es sich schon beinahe antizipieren, will Scarpia „kein Geld“. Tosca wehrt sich von den Augen bis zu den Zehen, und zeigt trügerische Erleichterung, als ihr Scarpia vollmundig verkündet: „Sei libera.“ Das war ein Trugschluss. Wenig später sitzt er bereits auf ihr und es ertönen die Trommeln. Schnelles Handeln ist gefragt: Und da wendet sich Serafins Tosca vertrauensvoll an Gott. Ihr erwartetes „Vissi d´arte“ gerät sehr gut, etwas höher als gewohnt, und leidend, wieder auf dem Sofa, mit großem Ausdruck. Zusammensinkend verharrt sie immer noch im tiefen Gebet. Viel Applaus gibt es hierfür.
Scarpia wird noch bekniet und um Gnade angefleht, aber er hat übermäßigen Appetit. Nach einem liebestollen, recht heftigen Angriff auf Tosca, den er abbrechen muss, rückt er sich, ganz Italiener, das Gewand wieder zurecht. Später hantiert er locker und nichtsahnend mit den Kerzen(leuchtern), dass diese eine wesentliche Rolle spielen, wird ihm (nicht mehr) bewusst werden. Er geht auf Tosca zu und bäumt sich wieder wollüstig auf (hat schon etwas !). Im nächsten Moment muss er aber „Aiuto“ rufen, und das mehrmals, weil sie ihm ihren „Kuss“ gegeben hat: Der Ausdruck „Bacio di Tosca“ steht leider nicht für etwas Leidenschaftliches, sondern für Mord. Schon hat er den Dolch im Herz, und auch im Sterben ist er noch Italiener, langsam seufzend, jammernd und rufend sinkt er dahin zu Boden. Das ist großes Kino. Noch schwer atmend, als er eigentlich bereits „tot“ sein sollte. Nun, die Qualität eines „Bühnentodes“ sollte wohl daran nicht gemessen werden. Tosca ist sogar noch so menschlich und legt dem Ermordeten das christliche Kreuz auf, und verschwindet.
Im 3. Akt geht es wie gewohnt düster zu. Es herrscht eine drückende Atmosphäre rund um die erbaute Engelsburg, es ist aber trotzdem stimmungsvoll. Alle Augen sind auf einen gerichtet: Jonas, immer noch (rollentechnisch bedingt) blutend. In vielen Inszenierungen kniete er, hier steht er anfangs zwischen Soldaten. Immer wieder hält der Tenor-Held inne, wohlüberlegt singt er und ausgewogen. Alleine beherrscht er vorerst die Bühne, sitzend und tief in sich gekehrt, ungewohnterweise etwas tief beginnt seine Arie: „E lucevan le stelle..“ Man spürt seine Emotion ganz deutlich. Seine starren und sehr ausdruckslosen Augen unterstreichen das Leid, das er gerade fühlt. Das „vita“ zieht er ein wenig in die Länge. Und dann: Jubel, Jubel, Jubel, Bravos, er verharrt ruhig, lässt sich nicht ablenken, es folgt minutenlanger Applaus, er spricht ein wenig mit sich selbst und atmet. Frenetischer Jubel und Schreie (!) folgen. Er lacht jetzt doch ein bisschen. Er wiederholt die Arie und gewährt dem Publikum, was es will.
Was noch auffällt: Beim romantischen Handkuss mit Tosca hat Cavaradossi wohl eher seine eigenen Finger abgeküsst, ein lustiges Detail. Das Paar zeigt eine wunderbare Synchronität. Selbst beim „Erschießen“ lächelt Kaufmann ein wenig. Dann, als Serafin ihn zum Gehen animieren will und ihn „erschossen“ vorfindet, spielt er ein wenig „tot“ aber bewegt die Augen weiter. Sie schreit, springt diesmal Gottlob nicht von der Burg (bei derselben Inszenierung im Dezember 2015 verletzte sie sich beim Sprung schwer am Bein und musste sich sogar einer Operation samt Bühnenpause unterziehen), sondern schreitet mehr hinab. Leider wird deutlich, dass kurz vorher ihr Kleid zerrissen ist.
Am Ende ist der Applaus für alle drei Protagonisten frenetisch, und dauert wahnsinnig lange! Ein toller Abend für Tosca!