Theatergeschichten zum Lachen von…Stefan Tanzer

Stefan Tanzer, Bass im Chor der Volksoper Wien


Eine Geschichte aus der Wiener Volksoper, Aufführung der Oper: „Zar und Zimmermann“ (A. Lortzing)

Vor vielen Jahren fand an der Wiener Volksoper eine Aufführungsserie von „Zar und Zimmermann“, einer Oper von Albert Lortzing, statt. Im Finale 2 am Schluss gab es hier sogar echten Regen aus dem Schnürboden. Für mich war es ein Stück mit „Hut-Problemen„. In der vorletzten Vorstellung rutschte ich (regiegemäß) im Regen aus und fiel hin. Dabei kam mir mein Zylinder abhanden. In anderen Vorstellungen rollte dieser immer nur ein paar Meter davon, aber diesmal dürfte ich wesentlich schwungvoller unterwegs gewesen sein. Mein Zylinder legte also eine beachtliche Strecke zurück und verschwand schließlich unter den Füßen der Solisten. Alle suchten ihn – ich, der Abendspielleiter, die Bühnenarbeiter – nichts! Ich musste also beim Auftritt mit der „Singschule“ danach „barhäuptig“ singen. Erst dann konnte ich mir fürs Finale ultimo eine andere angemessene Kopfbedeckung suchen. Danach suchte der Garderober weiter – nichts!

Die ganze Vorstellung lang blieb mein Zylinder verschollen. Ein grundsätzlich misstrauischer Kollege raunte mir zu: „Den hat dir jemand versteckt! So fängt´s an mit den Scherzen!“. Nach der Vorstellung beim „Bühnentürl“. Der damalige Tiroler Souffleur sagte zu mir: „Woasch eh, Dei Zylinder isch zu mir in den Kascht´n kemman!“ Ich konnte es mir nicht anders erklären: Ein Solist musste meine noble Kopfbedeckung per Fußtritt weiter an die Rampe befördert haben, von wo aus der Souffleur rasch zugegriffen hatte. Sonst hätte mein Zylinder noch durch den herabfallenden Vorhang den Weg alles Irdischen genommen! Klar war auch, dass er ihn mir nicht hätte wieder auf die Bühne werfen konnte! „Hiaz hot den die Garderobe!“

In der letzten Vorstellung dann ( man muss wissen, im „Zar und Zimmermann“ agieren wir stets bedeckten Hauptes) hatte ich einen Auftritt im 1. Akt in der Werft auf dem Arbeitsgerüst, also sozusagen im 1. Stock. Mit recht wenig Bewegungsfreiheit. „Schau, dass Du Dir bloß net den Schädel anhaust!“ riet mir ein freundlicher Kollege. Ich zog also den Kopf weit genug ein. Aber ich berechnete nicht die Maße meiner Kappe. Für diese war es zu spät. Mitten im fröhlichen Sange wischte mir ein Querbalken das Käppi vom Kopf. Ich versuchte noch unter Einsatz meiner Kräfte, es aufzufangen. Was kläglich misslang, es landete unsanft auf der Bühne, führte schlussendlich zu einer Irritation meiner unten singenden Kollegen. Einer hob es auf, probierte es anstelle seines Kapperls, schüttelte den Kopf, setzte sich wieder die eigene Mütze auf und warf den „Flüchtling“ hoch zu uns.

Wieder kam es zur Regenszene im Finale 2. Wieder glitt ich im Nachspiel bühnenwirksam auf den nassen Holzplanken aus und ließ mein Körpergewicht niederkrachen. Mein Zylinder flog abermals brav vom Kopf. Aber diesmal wollte ich seiner Fluchtbewegung Einhalt gebieten: Ich streckte die Hand nach ihm aus und erwischte ihn volley, kriegte ihn aber nicht zu fassen. Im Gegenteil: Ihm wurde ein solcher Drall versetzt, dass er „wie von der Tarantel gestochen“ davonrollte. Mir blieb nur, ihm fassungslos am Bauch liegend nachzublicken. Da sah ich wieder, wie er punktgenau auf den Souffleurkasten zusteuerte, diesmal von Solistenbeinen unbehelligt. Die Hand des Tiroler Souffleurs, Mario, langte wie selbstverständlich aus dem Kasten und barg meinen Zylinder ein weiteres Mal!

Hätte ich das absichtlich gemacht, wäre der Hut wer weiß wo gelandet, meterweit vom Souffleur entfernt. Vielleicht auf den Pauken im Orchestergraben, aber sicher nicht zentimetergenau im Souffleurkasten. Ich bin dann – über mich selbst erstaunt – in die Garderobe hoch, um wieder eine Ersatzbedeckung zu holen. Unserem Garderober berichtete ich, dass das Unfassbare passiert wäre: „Meinen Hut hat wieder der Souffleur!“ Rudi ächzte: „Net schon wieder!“ Kostümteile, die im Haus verstreut sind, brauchen nämlich oft Tage, bis zu ihrer Rückreise an den eigentlichen Bestimmungsort. Irgendjemand nimmt sie mit und verspricht, sie irgendjemandem irgendwann zu geben. Nach dem ersten Kastenabenteuer lag mein (un-)treuer Zylinder zwei Tage lang traurig in der Damengarderobe. Dort hatte sich niemand gefragt, was diese eindeutig männliche Bekleidung hier zu suchen hatte.

Liebe Freunde waren damals in der Vorstellung und meinten bewundernd, wie es mir gelungen sei, den Zylinder so exakt im Souffleurkasten zu versenken. Das müsse doch sehr schwierig sein! Ich habe sie über den wahren Sachverhalt (ehrlich, wie ich bin) aufgeklärt und sie damit desillusioniert.

Hinterlasse einen Kommentar