Wie war das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2021?
Italianità, die…
Definiert im Duden, bedeutet „Italienische Art“, „Italienisches Wesen“. Am 01. Januar 2021 muss man sie im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins kaum erklären. Dirigent Riccardo Muti übernimmt das, con molto stile.
Der erste Marsch schon, Fatinitza aus der ersten dreiaktigen Operette von Franz von Suppé, Premiere 1876 am Wiener Carltheater, zeigt aufkommende Energien. Obwohl dieser im Vergleich zu nachfolgenden Werken blass bleibt.
Die Streicher sind ziemlich gefordert bei diesem Konzert. Überhaupt legt Muti einen Schleier von Verklärtheit, Weichheit über das gesamte Dirigat, im Gegensatz dazu warnt er mit einer ernsthaften und eindringlichen Rede über die Wichtigkeit von Musik und deren Wert für kommende Generationen auf Englisch. Alles klingt so – italienisch – wie schon erwähnt. Einen „Kaiserwalzer“ (op. 437) von Strauss Sohn kann man italienischer nicht klingen lassen – als hätte Sisi Grappa statt ihres geliebten Veilchensirups getrunken.
Besonders feine Stücke stellen insbesondere der „Schallwellenwalzer“ (klingt nach einem nachdenklichen Arbeitsprozess mit romantischen Anklängen, op. 148) von Strauss Sohn, uraufgeführt im Sofienbad-Saal in Wien, die „Grubenlichter“ von Carl Zeller (nach Motiven der Operette „Der Obersteiger“ – verdächtigt man kurz der Schwermütigkeit; und die – wirklich wundervolle – elegische Ouvertüre „Dichter und Bauer“ von Franz von Suppé dar. Die charakteristischen „Ups and Downs“ werden herausgearbeitet.
„Ohne Sorgen“ (op. 271) Strauss Sohn, die Musiker dürfen hier „Ha“ rufen , „In Saus und Braus“ – Galopp von Carl Millöcker (ebenfalls nach Operettenmotiv wie vorhin Carl Zeller) – Muti hüpft hier freudig rhythmisch mit, die delikate „Niko-Polka“ (op. 228) mit Harfe (uraufgeführt 1859 in Pawlowsk, Russland, während einer Reise von Strauss Sohn) bilden die „leichtere Muse“. Ebenfalls wähnt man sich im „Krapfenwaldl“ (Polka francaise, op. 336) von Strauss Sohn – eine gern verwendete Melodie für die Rolle der Pepi in der Operette „Wiener Blut“. „Stürmisch in Lieb´ und Tanz“ (op. 393, eine Schnellpolka) reiht sich hier ebenfalls ein, immer wieder gern gehört und mitgehüpft.
Wiederum Einflüsse der Italianita finden sich in der Auswahl des Venezianer-Galopps (op. 74 – ein Werk von Strauss Vater mit „stürmischen“ Kastagnetten) und der Margherita-Polka (op. 244) von Josef Strauss. Größten Respekt zollt man Riccardo Muti mit der „Neuen Melodienquadrille“, wo Johann Strauss Sohn – in Verdi-Verehrung – Motive aus dessen Opern wie „Rigoletto“ oder „La traviata“ verarbeitete. Dieser könnte man wirklich stundenlang zuhören.
die kurstadt baden, genua und das loos-haus in Wien kommen zu Ehren…
Karl Komzak sorgt für die urösterreichische Note: „Bad´ner Madln“, sein hübscher Konzertwalzer, zeichnet ein Stimmungsbild aus der Kurstadt.
Der Pausenfilm des Neujahrskonzertes behandelt das jüngste Bundesland Österreichs: „Happy Birthday Burgenland“ 1921-2021. Eigens arrangierte Musikstücke, unter anderem die „Gräfin Mariza“ oder die „Fledermaus“ hört man da bei einer Schiffahrt über den Neusiedler See heraus. Orte vom Schloss Esterházy in Eisenstadt, Schloss Tabor bis nach Rust bereist man.
natürlich, unverkrampft, bunt – das ballett
Zur Margherita-Polka (geschrieben zur Vermählung des Prinzen von Umberto mit Margherita von Genua) sowie zum „Frühlingsstimmen-Walzer“ tanzt das Wiener Staatsballett, vornehmlich im Freien (Schlosspark des Palais Liechtenstein in Wien-Alsergrund) und im Loos-Haus (des Architekten Adolf Loos) am Michaelerplatz 3, das von den Wienern „Haus ohne Augenbrauen“ getauft wurde. Kaiser Franz Joseph soll es „jederzeit“ vermieden haben, daran vorbei zu marschieren, da er es für „scheußlich“ befand. Dem jungen Balletttänzer Davide Dato werden hier kurzzeitig zwecks Damen-Tausch die Augen verbunden, aber er tanzt weiter. Ihn hält offenbar nichts auf. Sveva Gargiulo, Ketevan Papava und Alice Firenze machen ebenso gute (Tanz-)Figuren in Kostümen von Christian Lacroix, zu einer Choreographie von José Carlos Martinez (einem spanischen Ballettänzer). So natürlich, so erdverbunden und doch verzaubernd – diese Choreografie zählt zu einer der besten der letzten Jahre!
ein stimmungsbild der zeit – andächtig und leicht optimistisch
Als Zugabe gibt es die Furioso-Polka (op. 260, in Russland uraufgeführt, gern in der Operette „Wiener Blut“ verwendet, sowie die obligaten beiden Zugaben. Gespannt war man besonders auf Mutis Donauwalzer, „An der Schönen Blauen Donau“ (op. 314) von Strauss Sohn im Winter 1866/67 komponiert. Am 10. März 1867 fand die erste Aufführung der Konzertfassung mit dem Wiener Männergesangs-Verein statt. Mit Schmelz, aber doch irgendwie bestimmt klingt das heute. Den Schlusspunkt bildet der Marsch für den Feldmarschall Josef Wenzel Radetzky von Radetz, geschrieben von Strauss Vater: Weltweit beliebt, vielleicht nicht nur, weil man mitklatschen kann. An diesem 01. Januar wird daraus nichts – pandemiebedingt. Muti dirigiert hier nur das Orchester, nicht das Publikum – die Sitze sind leer.
Stimmung kommt aber trotzdem auf: Italienisch, (leicht) optimistisch, etwas mystisch, stellenweise elektrisierend zart. Besonders sticht hervor, dass Schnellpolkas in den Hintergrund getreten sind – passend zur Zeit.