Wer hat eigentlich die Behauptung aufgestellt, dass ausschließlich die jüngere SchauspielerInnen-Generation das Zepter in der Hand hält? Wie jüngst bekannt geworden ist, sollen zum Beispiel die Festspiele Reichenau unter Burgschauspielerin Maria Happel einer „sanften“ Modernisierung unterzogen werden. Doch schlecht ist es natürlich nicht, wenn die „Jugend“ von dem „Alter“ (man mag jetzt vielleicht an Ferdinand Raimunds „Bauer als Millionär“ denken) profitiert.
Bis vor der Corona-Krise war ER ein ständiger Reichenau-Gast und führte oft das Ensemble an: Joseph Lorenz! Genau: Der elegant-stattliche Herr mit Silberhaar, der abseits der Bretter mit seiner zurückhaltenden Coolness Fans begeistert. Ihm ist auch eine eigene Sitzbank beim Theater gewidmet worden – nebst anderer Größen wie dem verstorbenen Peter Matić. Was ist denn so besonders an ihm? Die Frage mag berechtigt sein. Reiht er sich nicht auch in die Riege derjenigen mit Sprechausbildung ein, ist er nicht ein sprichwörtlicher Textaufsager und Gesichtsvermieter in Personalunion?
Die Antwort: Sicher nicht.
Bei genauerer Betrachtung schafft es der 1960 geborene Joseph Lorenz, immer eine gewisse Unnahbarkeit in seine Rollen zu legen, die vielleicht gerade den Reiz des Mimen untermauert. Erst 1995 kehrte er, nach jahrelangen Auslandsaufenthalten, nach Wien ans Burgtheater zurück. 1979 bis 1982 absolvierte er seine Ausbildung am Mozarteum in Salzburg, dann wurde er nach Kassel ans Staatstheater engagiert. Es folgten Engagements unter Boy Gobert und Heribert Sasse am Schillertheater Berlin. Düsseldorf, Zürich und Basel waren weitere Stationen. 2015 wurde er zum Kammerschauspieler ernannt. Laut eigenen Angaben spielt er die Gitarre und ist im Reiten und Bühnenfechten geübt.
Man erinnert sich gerne an seinen „Baumeister Solness“, eben in Reichenau (Bericht: Joseph Lorenz und Alma Hasun in „Baumeister Solness“ (Henrik Ibsen)- Phobischer Baumeister / Festspiele Reichenau/Rax) – in eigener Inszenierung – an seiner Seite als Hilde Wangel Alma Hasun, wo er es am Ende doch merklich mit der (Höhen-)Angst zu tun bekommen hat. Oder aber auch an den „Sektionschef Leonidas“ in „Eine blassblaue Frauenschrift“ – Bericht: Joseph Lorenz & Fanny Stavjanik – Festspiele Reichenau : „Eine blassblaue Frauenschrift“(F. Werfel). Er ist auch schon in die Titelrolle des „Professor Bernhardi“ geschlüpft. Sehr erfolgreich hat er im 3. Film aus Ulrich Seidls Trilogie: Paradies, „Paradies: Hoffnung“, einen Diätarzt und Leiter des Camps im Wechselgebirge, in den sich eine 13-Jährige, von ihrer Mutter zum Abnehmen geschickt, (hoffnungslos) verliebt, verkörpert.
Nicht nur auf der hehren Theaterbühne (zuletzt am Theater in der Josefstadt) kann man Herrn Lorenz finden: Er veranstaltet auch Lesungen für sein Publikum, bei denen er es auf fast verschwörerische Weise versteht, dieses in seinen Bann zu ziehen. Eine Stecknadel möchte man fallen hören. Dabei wird er aber nie brachial, nie ungestüm laut, nie gleitet seine Stimme ins Unangenehme. Auch bei Passagen, die bei manchen ZuhörerInnen Missfallen auslösen könnten. Lorenz rezitiert Texte von Alfred Polgar, Anton Kuh, Gotthold Ephraim Lessing, Joseph Roth und Balladen wie „Der Erlkönig“ sowie viele aus seiner persönlichen Sammlung.
Die nächste Gelegenheit, Joseph Lorenz und seine Erzählkunst live zu erleben, ergibt sich am Donnerstag, 15. Juli, wo sich Lorenz und Florian Krumpöck am Klavier im Rahmen des Kultur.Sommer.Semmering auf eine Pilgerfahrt zu Beethoven machen und Joseph Lorenz Einblicke in die Weltanschauung des schon an fortschreitender Taubheit leidenden Ludwig van Beethoven gibt. Dazu werden die Sonate für Klavier Nr. 27 in e-moll op. 90 und
die Sonate für Klavier Nr. 29 in B-Dur op. 106 »Hammerklavier« gespielt.
Termin: Donnerstag, 15. Juli, 19:30 – 21:30 h, Südbahnhotel Semmering, Karten sind erhältlich unter http://www.kultursommer-semmering.at