Kraftvolle Dernière von „Turandot“ (G. Puccini) im Steinbruch von St. Margarethen

Die letzte Aufführung einer Inszenierung an einem Spielort – die hat, wie die Premiere, besondere Aura und Anziehungskraft. So auch jene der „Turandot“ im Steinbruch Sankt Margarethen im Burgenland. Vor der Oper: Lockere Sprüche in Mundart, klirrende Gläser des Publikums, die laut Ordnern nicht auf die Tribüne mitgenommen werden dürfen. Hilfsbereite MitarbeiterInnen, die zur Stelle sind, wenn man den Weg nicht kennt. Die Kulinarik boomt, die Menschen stehen Schlange vor den Ständen. Die 3-G-Regel wird eingangs kontrolliert.

Klotzen, nicht kleckern – inszenatorisch wird nicht gespart

Ein dunkelhaariger Herr im Anzug sprintet auf die Bühne: „Mein Name ist Daniel Serafin, und ich begrüße Sie herzlich zur Oper im Steinbruch.“ Der Künstlerische Direktor lässt es sich nicht nehmen, den Ausführenden des Abends – Licht, Ton, Regie, Dirigat, KünstlerInnen, persönlich zu danken und die Saison zu reflektieren. Und: „Wir kleckern hier nicht, wir klotzen!“

Viel hilft viel – und es passiert immer etwas

Schon beginnt auch das Schicksal des scheinbar noch namenlosen Prinzen (Andrea Shin – andernorts bereits als „the next Pavarotti“ bezeichnet) seinen Lauf zu nehmen. Man muss gleich die brutale Hinrichtung eines gescheiterten Verehrers des „Mädchens von Turan“ ertragen. Spektakuläre Einlagen sind in dieser Inszenierung ständig zu sehen – man weiß eigentlich nicht, wohin man den Kopf drehen sollte. Feuer, animierter Regen (von dem man diesen Sommer schon genug in der Realität hatte), Rauch, Nebel, Schwertkämpfer, Ninjas, die sich von der Felswand abseilen und kämpfen. Regisseur Thaddeus Strassberger hat mächtig dick aufgetragen.

Manchmal ertappt man sich deshalb auch dabei, gar nicht so auf Turandots eindringlichen Gesang zu hören – an diesem Abend porträtiert von der Amerikanerin Courtney Mills. Mills, geboren in Illinois, gab schon mit 23 Jahren ihr Operndebüt. Und das merkt man auch bei der stimmgewaltigen Prinzessin. Sie wehrt sich gegen jeden Verehrer, lässt jeden töten, der ihr(e) Rätsel nicht durchschauen kann. Sie will (und muss) jungfräulich bleiben, das wird als ihr Ruhm und ihr Mysterium angesehen. Mehrfach wird ihr von ihren MitspielerInnen attestiert: „Du bist kalt von Eis umgürtet!“ Aber womöglich hatte sie einfach auf den Richtigen gewartet. So kalt möchte der Prinz „seine“ Prinzessin nicht – er will sie glühend haben. Bis zur respektabel-leidenschaftlichen Umarmung, die spät aber doch – auf einen ersten Kuss („auf die ersten Tränen“) folgt, dauert es lang. Es bleibt aber jede Sekunde sehenswert: Wenn die kaltherzige Prinzessin die treue Dienerin Liù (sehr schöne Stimme und sie stirbt wie ein Schwan: Celine Byrne) fragt: „Wer legt soviel Kraft in Dein Herz?“ und diese antwortet: „Die Liebe.“, ist das ein berührender Moment.

Unterhaltsam, auch von Auftritt und Kostüm (wie weiße Engelchen mit weißem Haar und Goldgürtel und extraweiten Ärmeln – die Kostüme stammen vom Italiener Giuseppe Palella) her, sind die drei Herren Ping (Vincenzo Taormina), Pang (Angelo Pollak) und Pong (JunHo You), sie lachen viel, wenn auch mit ernster Botschaft. Sie spotten sichtlich über den Prinzen, der es wagen will, die brutalste Prinzessin zu erobern: „Sohn des Himmels, ich will es versuchen!“ Der bedeutungsschwere Satz deutet schon an, dass es beim Versuch nicht bleiben wird. Auch die gesamten Opernfestspiele versuchen nicht. Sie machen! Sohn des Himmels (oder Tianzi) war in China der heilige Titel des Kaisers. Altoum, der Kaiser, bleibt während der Oper eher im Hintergrund. Benedikt Kobel (Wiener Staatsoper) gibt diesem überraschend wenig Profil. Immer wieder würdigt das gesamte Volk (Statisten, Tänzer, Henkerinnen, Diener) diesen Kaiser.

Mysterienspiel um die eiskalte Prinzessin und ihre Foltermethode – Kein Schlaf

Mystisch wird es dann, wenn Turandot über ihr Volk als Strafe das Verbot des Nachtschlafes verhängt. In Blau wird alles getaucht, die Kulisse, Masken ziehen durch den gesamten Zuschauerraum und leuchten mit Kugellaternen ins Publikum. Keiner ist eingeschlafen. Doch beim „Nessun dorma“, auf welches alles wartet, hält sich Shin merklich ein bisschen zurück. So richtig lässt er nicht den Löwen heraus. Tu pure, o Principessa, nella tua fredda stanza – wird ebenso nicht vollständig auf den Übertiteln übersetzt. Ein kleines Detail – doch bei einer der großen Arien soll auch die Wirkung sich entfalten. Zu den ausstattungstechnischen Highlights der Bühne von Paul Tate dePoo zählt auch noch ein großes Schiff, auf dem Liù und Timur (Sorin Coliban) einfahren und auch die Welt nach dem „Lieber sterbe ich, als (des Prinzen) Namen zu verraten!“ wieder verlassen. Dieser verrät ihn, nachdem er gewonnen hat, selbst. „Ich bin Calaf, Sohn des Timur!“

Dirigent Giuseppe Finzi lässt nichts vermissen: Das hauseigene Piedra Festival Orchester jubiliert, selbst die Anklänge an andere Puccini-Opern (wie zum Beispiel „Tosca“ – Erschießungskommando und „La Boheme“) hört das aufmerksame Ohr immer mal wieder heraus. Der Philharmonia Chor Wien macht das Geschehen auf eigene Weise komplett. Das eindrucksvolle Lichtdesign des JAX Messenger lässt auch virtuelle Steine von den Palastmauern stürzen – es ist sein Debüt in Österreich. Choreograph Ran Arthur Braun leistet Unglaubliches und überlässt nichts dem Zufall: In Erinnerung bleiben besonders die an der Felswand tanzenden und kämpfenden Ninjas (u.a. Stuntman Ivan Forlani) und der Tänzer im Feuerrad (zu gefährlich, um noch näher hinzusehen!). Nicht weiter verwunderlich, dass einige Feuerwehrmänner auf dem Gelände unterwegs sind.

Das Fazit lautet: Spektakel über Spektakel, die Ereignisse überschlagen sich, die Stimmen bleiben cool. Greift man gedanklich zurück auf das Theater an der Wien, kann die Strassberger-Inszenierung dieser Turandot als Antithese zum „Fidelio“ (Inszenierung: Christoph Waltz) verstanden werden. Mehr kann auf einer Bühne nicht geschehen – versus weniger (man denke an die leeren Fidelio-Stufen).

Man freut sich auf nächstes Jahr – bei „Nabucco“ (Verdi).

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