Vom Weg abgekommen und doch liebens- und leidensfähig: La traviata an der Wiener Volksoper

Die Wiener Wiederaufnahme von La traviata von Giuseppe Verdi an der Volksoper Wien wurde von den Amici del Belcanto besucht.

Uraufgeführt wurde die Oper in 3 Akten mit Libretto von Francesco Maria Piave, nach der Romanvorlage Die Kameliendame von A. Dumas, am 6. März 1853 im Teatro La Fenice, Venedig.

In der Regie des verstorbenen Hans Gratzer brilliert als Hauptfigur Violetta die texanische Sopranistin Rebecca Nelsen (gern gesehen und gehört an der Volksoper). Stimmschön, dramatisch und ihre Leidensfähigkeit voll ausspielend agiert sie. Ihr Weinen wäre mehrmals zum Mitweinen geeignet. Am Ende, vor ihrem Tod, regieren auch die leisen Zwischentöne, etwa wenn sie kraftlos von ihrem „zusammengebauten“ Kanapee heruntergleitet. Ihr Krankenbett steht von Anfang an auf der Bühne. Sie „opfert“ sich für ihren Alfredo, ausschließlich in seiner Anwesenheit will sie wieder lieber leben. Berührende Szenen allerorten, und von Anfang an ist man mitten im Geschehen. Etwa bei „E strano“ merkt man die vollständige Hingabe der Person in die Rolle, Nelsen liegt die Violetta sehr. Ihr weißes Kleid, das sie über weite Strecken trägt, unterstreicht ihre Verletzlichkeit, ebenso, dass sie barfuß läuft. Den Hut und das Kostüm (ebenfalls weiß, von Barbara Naujok), die an den italienischen Harlekin erinnern, legt sie ab, wenn sie vom „Partymodus“ in das reale – sehr triste – bis auf die Liebe, Leben wechselt. Originell ist der Fächerschlag des Ensembles zu den letzten Takten von „Libiamo“, dem bekannten Trinklied (Brindisi).

Junho You als Alfredo Germont findet sich nach und nach in seiner Rolle als Liebender mit tenoralen Höhen ein. Sehr stark gerät die Szene, in welcher er der „Kurtisane“ Geld vor die Füße, und auch auf den Körper wirft, um sie für die gemeinsame Zeit „zu bezahlen“. Die Verletztheit sieht man hier gut herausgearbeitet auf beiden Seiten, auch wie Violetta erschrocken zurück“fährt“, als Geldscheine in brutaler Manier auf sie niederprasseln. In der Inszenierung muss er zuweilen auch hinter einem riesigen Vorhang stehen, dort Violetta beobachten, und er wird sogar mit einer gutherzigen Jungfrau hinter diesem verheiratet. Dies heißt besonders sein Vater Giorgio Germont gut, energisch und doch am Ende gütig verzeihend dargestellt von Orhan Yildiz, der Violetta, die Kurtisane, nicht als angemessene Partnerin für seinen Sohn betrachtet, und seinen Standpunkt eindringlich mit einer schön gestalteten Arie „Di provenza il mar“ darlegt.

„In diesem Paradies soll der neue Tag uns finden!“ Ein malerisches wie auch trauriges Zitat, denn Violetta verausgabt sich viel zu sehr mit Feiern, Genuss, Alkohol und unstetem Leben.

Dabei bittet sie, wenn sie auch auf ihn verzichtet, aus Liebe: „Amami, Alfredo!“ Liebe mich, Alfredo! Ein Schrei nach Hingabe, Zuwendung, damit das Leid ihrer Krankheit etwas weniger wird. Das beste Heilmittel kennt sie selbst: Ihr Geliebter. Doch am Ende, selbst beim letzten Aufbäumen ihrer Lebenskraft: Es ist zu wenig.

Eine Person, die sich immer beschützend und unterstützend in Szene setzt, ist Annina, dargestellt von Sofia Vinnik (sehr gut bei Stimme). Sie ist der Kranken eine große Hilfe und stützt sie immer wieder.

Baron Douphol, dem sich Violetta zuwendet, bleibt den Abend über eher eine Figur am Rande. Ben Connor, den man ansonsten als profunden Stimmgeber kennt, weiß womöglich nicht recht etwas mit diesem „Gesellen“ anzufangen. Robert Bartneck als Gastone hat die Aufgabe, einen neuen Jüngling in die Gesellschaft einzuführen, das gelingt ihm mit einem glatten und schnörkellosen Auftritt. Flora, Violettas Freundin, Maria Hegele, lässt doch etwas Präsenz vermissen und bis auf eine Party ist bei den beiden nicht viel Gemeinsames auszumachen. Pablo Santa Cruz als Marquis bleibt im Hintergrund, der Doktor Grenvil von Aaron Pendleton ist in einigen Momenten pointiert: „Sie hat nur noch wenige Stunden.“

In Diensten der Hauptfigur präsentieren sich der Diener bei Violetta von Rey Lacuin und ein mit tollen Accessoires ausgestatteter Dienstmann von Stefan Tanzer, der gesanglich so einiges vorzutragen hat.

Einlagen des Wiener Staatsballetts als Toreros und Stiere überzeugen nur mäßig, man müsste sich fragen, ob dies im Jahre 2024 wirklich noch seine Notwendigkeit hat?

„Parigi, o cara“, gerät als eindringliche, berührende wie entschlossene Arie der beiden Liebenden. Wenn Alexander Joel am Pult des Volksopernorchesters so richtig aufdreht, wird man mit Violettas Leid mitgerissen. Anfangs wirkt es musikalisch noch etwas ausbaufähig. Der Chor unter Einstudierung von Roger Cajamarca stellt sich seinen Aufgaben und ist eine starke Säule hinter der nahezu stets einsam agierenden Violetta.

Insgesamt besticht die Inszenierung durch Reduziertheit und Deutlichkeit, einzelne Elemente wie Krankenbett, Vorhang oder Kugel, die Vorgänge an sich darstellen, bekommen in intimen Kammerspiel-Szenen ihre „Auftritte“. Vielleicht denkt man auch an Willy Deckers Interpretation (rotes Sofa, Uhr) der Oper und findet einige Parallelen.

Prädikat: sehenswert!

Weitere Vorstellungen am 14.März, 17., 23., 28. März.

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