Der vielbeachtete niederösterreichische Bariton Thomas Weinhappel widmet sich an diesem Abend im Alten Rathaus Wien, im 1. Bezirk, den Gamechangern (Spielveränderern) – wer sind diese eigentlich? Gemeint sind damit einerseits Figuren aus Opern, die eine entscheidende Wendung in der Handlung herbeiführen, aber andererseits nicht selten auch die Opern selbst! Und auch der Sänger präsentiert sich als ein „Gamechanger“! Im Konzertfrack ohne sonstige Ausstattung ist es kein Leichtes, die großen Protagonisten der Oper darzustellen. Der Bank Austria Salon des Rathauses ist ausverkauft, Erzählerin Ursula Wies begrüßt die Gäste und stimmt auf den Abend ein. Pianist Frank Bornemann begleitet den Künstler und ist keinesfalls nur Orchesterersatz, sondern ein kongenialer Partner für die markante Baritonstimme.
Die Herangehensweise ist lobenswert. Hier ist mit Enthusiasmus daran gearbeitet worden, diese männlichen Protagonisten erlebbar zu machen, und zwar auch eben abseits der großen Opernbühne, ohne Bühnenbild, ohne Kostüm. Kurzum, hier zählen Stimme und Interpretation pur. Viele glühende Fans sind anwesend, das merkt man am frenetischen Applaus für den Künstler, der sich sogar am Ende mit Küsschen verbeugt.
Vom mordlustigen Don Pizarro (Beethoven, Fidelio), der seine hasserfüllten Worte: „Ha, welch ein Augenblick!“ wahnsinnig auskostet und den Moment, den „Mörder zu ermorden“ gekommen sieht, „spaziert“ Weinhappel scheinbar mühelos weiter zu Verdis Macbeth und zu „Pietá, rispetto, onore“, zu dem starken Soldaten, dem General, der doch eine gewisse Unsicherheit mit sich trägt. Er ist bereit, vieles zu opfern. Doch wenn sein eigenes Leben betroffen ist, zögert er. Man achte ebenso auf die Augen des Mannes, wie sie funkeln, und ernüchtert scheinen, wenn er die Umstände bedauert: „Eppur la vita sento nelle mie fibre inaridita!“ Auch hier wird mit Schärfe und (An-)Mut an die Sache herangegangen. Verdi wollte ein pures Menschenporträt, weg von Rossini oder Bellini, keine romantische Belcanto-„Lovestory“. Das Publikum will gleichermaßen Stolz und Irritation fühlen. Der Sänger stattet die Figur mit beidem aus. Ursula Wies steuert bei, dass es im Text, wie es in Verdis Orginal-Autograph lautet, um die Ehre und nicht wie vielfach wiedergegeben, um die Liebe geht. Deshalb heißt es auch an diesem Abend „onore“ und nicht „amore“.
Frank Bornemann, der Mann mit flinken und gefühlvollen Händen am Klavier bekommt die Gelegenheit, bei Johannes Brahms‘ Intermezzo in A-Dur, Op.118 Nr. 2 zu glänzen, und diese nutzt er auch. Ein leises und delikates Stück, das man berieselnde Musik nennen will, aber nur im ersten Moment. Geschrieben hat es Brahms, wie Ursula Wies in der Rolle der Erzählerin ausführte, für Clara Schumann, in die er verliebt war.
Wenn sein karges Abendmahl unterbrochen wird, kann Scarpia aus Puccinis Tosca eher ungemütlich werden. Das kann man am eigenen Leib spüren, wenn die – nicht vorhandene – Floria Tosca mächtig unter Druck gesetzt werden soll. Tosca ist ihrerseits ein Gamechanger, denn sie ist die erste mordende Frau bei Puccini in der Opernwelt laut Ursula Wies. An Interpreten wie Ruggero Raimondi will sich Thomas Weinhappel nicht messen lassen. Er macht seine ganz eigene Variante des personifizierten Bösen daraus, der Toscas Leben zerstören will. Besonders eindrucksvoll gerät das Te Deum, das sehr häufig mit großem Chor und Statisterie umgesetzt wird. Doch hier kann man es ganz anders erleben, intim, nicht minder gewaltig. Ganz still ist es im Saal, und Scarpias Gefühlsausbruch wird erwartet.
Bucklig stellt er sich zum Glück nicht dar, Thomas Weinhappel weiß allein mit der Durchschlagskraft seiner Stimme als Rigoletto mit „Cortigiani, vil razza dannata!“ zu überzeugen. Er stürmt in den Saal, „beschuldigt“ das Publikum alias den Hofstaat, seine Tochter Gilda geraubt zu haben. Das kommt darstellerisch gut an.
Anzumerken ist, dass der Übergang von jenem zornigen, flehenden Rigoletto zum Grafen Luna aus Il trovatore, der seine Leonore schmachtend besingt („Il balen del suo sorriso“) vielleicht etwas harsch ist, was aber der gesanglichen Qualität des Vorbringens keinen Abbruch tut.
Pianist Frank Bornemann stellt die Rhapsodie op. 79 Nr. 1, wiederum von Brahms, vor. Diesmal war der Komponist in seine Klavierschülerin, Elisabeth von Herzogenberg, verliebt, wie Ursula Wies weiß. Alsbald wechselte er sich selbst als ihr Lehrer aus.
Als Abschluss bietet Thomas Weinhappel Rodrigo, Marquis von Posa, auf und versucht seinen „Carlo“ zu bewegen. Er singt ohne Duettpartner und reißt das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin, ehe er rollengerecht dahinscheidet.
Man darf sich auf einen weiteren Abend im Zeichen des Komponisten Richard Wagner mit Thomas Weinhappel, Ursula Wies, Frank Bornemann und einer Sopranistin von der Staatsoper Nürnberg, Almerija Delic, am 10. September 2024, ebenso im Alten Rathaus Wien, freuen.
Hier werden unter anderem der Dialog Wotan-Fricka aus dem 2.Aufzug der „Walküre“ und das Duett Ortrud-Telramund aus „Lohengrin“ auf dem Programm stehen.