Das wohl berühmteste Konzert der Welt wird in über 90 Länder per TV übertragen und ist heiß erwartet und beliebt. Auf der ganzen Welt haben sich Fan-Gruppen zusammengeschlossen, die sich intensiv auf den 1.1. des Jahres vorbereiten. Wohl auch in Venezuela, der Heimat des diesjährigen Dirigenten, des (erst) 35-jährigen Gustavo Dudamel.
Nach dem ersten Marsch aus der Operette „Wiener Frauen“, nämlich dem sogenannten „Nechledil-Marsch“ (Lehár), welcher nicht gerade ein besonderes Glanzstück des famosen Komponisten darstellt, durfte man sich von diesem Konzert noch weitaus mehr erwarten. Lehár schrieb quasi eine Operette nach der anderen, viele davon als richtiggehende Welt-Hits, so wie die „Lustige Witwe“, deren Melodien wohl ein jeder, der Musik im Entferntesten mag, schon einmal gehört hat.
Im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins, prächtigerweise dieses Jahr sogar mit einigen Südfrüchten geschmückt, waren die Wiener Philharmoniker schwelgend in einer fantastisch ausgewogenen Version von Emilé Waldteufels „Les Patineurs“ oder auf Englisch „Skater´s Waltz“ (op. 183). Fein ziseliert die Passagen vorgetragen, kam nicht nur Dudamel selbst ins Schwärmen. Zum Weinen schön! Waldteufel war, wie bereits im vorigen Jahr nebst „Espana“, ein Konkurrent der Strauß-Dynastie, welcher in ähnlichem Stil komponierte.
Gustavo Dudamel ist mit seinen 35 Jahren der jüngste Dirgent in der Geschichte des Neujahrskonzertes. Und man muss ihm sagen, er hat seine Sache famos gemacht. Mit einem stets wundervoll charmanten Lächeln, das noch keiner der Dirigenten vor ihm gezeigt hatte, ging er an die Stücke heran. Sein merkbares Temperament war dennoch – oder schien dennoch etwas gezügelt zu sein. Geboren wurde er in Venezuela, und gilt in seinem Land als „Symbolfigur einer einzigartigen Klassik-Bewegung“. Er erwähnte zudem, dass er schon als Baby das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker im Fernsehen „mitverfolgt“ habe und es nun zu leiten, eine ehrenvolle Aufgabe sei.
Weiter im Programm ging es mit der schwungvollen und ur-wienerischen Polka „S´ gibt nur a Kaiserstadt, s´ gibt nur a Wien!“ (op. 291) von Johann Strauss Sohn, das erste Stück der Strauss-Dynastie in diesem Konzert, wobei die öffentliche Meinung auseinandergeht. Die „Sträuße“ sollten doch eigentlich dieses Welt-Konzert dominieren, meinen die Einen. Die Anderen gestehen auch „Außenseiter-Komponisten“ eine große Rolle im Neujahrskonzert zu. Beide Meinungen dürften wohl heuer befriedigt worden sein.
Von Johanns Bruder Josef Strauss folgte die „Winterlust“ (op. 121) als rassige, und doch sehr entzückend vorgetragene Schnellpolka, bei welcher Dudamel entfesselt war. Spezialeffekte wie das Zusammenklappen eines Holzblocks ließen launigerweise nicht lange auf sich warten.
„Mephistos Höllenrufe“ (op. 101), wieder von Johann Strauss Sohn, gerieten zu einem rasanten, aber ehrlich gesagt, wenig „bedrohlichen“ Szenario. Da hätte man sich mitunter ein bisschen mehr Dramatik erwarten dürfen. Ein wunderbar ausgearbeiteter Walzer, mit vielen ausdrucksstarken und auch verstrickten Motiven, den die Philharmoniker mit Akribie intonierten.
Ein kleiner „Gassenhauer“ folgte sodann, aus der Operette „Eine Nacht in Venedig“, übrigens die einzige von Johann Strauss Sohn, die in Berlin (!) uraufgeführt wurde. Die Schnell-Polka „So ängstlich sind wir nicht“, (op. 413) war sehr wuchtig und angenehm schmissig gespielt, animierte beinah zum Mittanzen. Nur die im Original vortragenden Senatorsfrauen waren nirgendwo zu entdecken, aber wie deklariert, war das die Antwort der Philharmoniker auf den vorangegangenen Walzer.
Im zweiten Teil des Neujahrskonzertes fand man drei große Walzer, eine prächtige Ouvertüre sowie Polkas und sogar wieder eine Quadrille, nach einigen Jahren.
Die Ouvertüre zu einer eher selten gespielten Operette von Franz von Suppé, „Pique Dame“, in welcher sich alles um Liebe, Wahrsagerei und Kartenlegen dreht, wurde zu einem fulminanten Meisterwerk, die fein gesetzten Einsätze der Musiker, die Atmosphäre dieses Musikstückes, sehr gut ans Publikum transferiert. So lässt es sich trefflich feiern.
Auch ein weiterer, wunderbarer Komponist fand Eingang in das Programm des Konzertes, der Wiener Carl Michael Ziehrer, der mit seinen über 600 Kompositionen wichtig für das Kulturleben der Stadt war. Von ihm hörte man mit mächtiger Inbrunst vorgetragen den populären Konzertwalzer „Hereinspaziert!“, welcher schon bis auf Kreuzfahrten vorgedrungen ist. Mit seiner anspruchsvoll langen Spieldauer von acht Minuten stellt dieses Werk eine Herausforderung der leichten Muse dar. Es handelt sich dabei um Opus 518 aus der Operette „Der Schätzmeister“. Mit wechselnden Passagen, die doch immer so leicht klingen müssen, als rutschten sie förmlich von der Violine, überzeugten die Musiker auch hier auf ganzer Linie.
Einen prominenten Auftritt hatte bei der nächsten Gelegenheit der Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, unter der Leitung von Johannes Prinz. Die Damen und Herren intonierten den „Mondaufgang“ aus Otto Nicolais Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“ im Chor. Ein zu Herzen gehender Effekt hierbei: Es wurde einerseits von der Orgel aus ein silberner Staub ins Publikum geblasen, und andererseits wurden Kirchenglocken imitiert. Ein Erlebnis, zumal mit Otto Nicolai der Gründer der Wiener Philharmoniker bedacht wurde.
Die exquisit schöne Tänzerin Pepita d´Oliva wurde von Johann Strauss Sohn mit einer eigenen Polka beschenkt, simplerweise der „Pepita-Polka“ (op. 138), zu diesem Anlass kamen Kastagnetten zum Einsatz. Ein „Kleinod“, aber recht sinniges und auch stimmiges Juwel der Sträuße.
Es folgte eine mit Spannung erwartete Quadrille, und zwar die „Rotunden-Quadrille“ (op. 360) von Strauss Sohn. Diese wurde anlässlich der Weltausstellung 1873 in Wien komponiert, und rankte sich rund um einen nicht fertiggestellten Prachtbau in Wien. Auch diese geriet recht temporeich und sehr aufwiegelnd, im nächsten Moment aber wieder besänftigend.
Eine für den Juristenball geschaffene Komposition folgte auf dem Fuß: „Die Extravaganten“, (op.205) ein genau durchkomponierter Konzertwalzer von Strauss Sohn, wurde wieder höchst melodisch umgesetzt. Extravagant waren da Ton und Takt.
Eine Tänzerin des Wiener Staatsballetts, Liudmila Konovalova, hatte ihre Neujahrskonzert-Premiere und war entsprechend motiviert und aufgeregt. Bravourös meisterte sie auch schwierige Passagen.
Johann Strauss Vater komponierte den „Indianer-Galopp“ (op.111), der einen etwas irreführenden Namen trägt. Es waren nämlich damals indische Tänzer zu Besuch, zu deren Ehren dieses Werk entstand. Das rascheste Stück dieses Neujahrskonzertes, wo die Philharmoniker und Dudamel alles auf den Tisch legten.
Ein entzückendes Werk, thematisch angesiedelt in der Region Semmering-Rax in Niederösterreich, präsentierten die Wiener Philharmoniker mit Josef Strauss´ schwärmerischer Polka mazur „Die Nasswalderin“ (op. 267). Eine ähnliche Struktur wie bei seinem „Hit“, der „Libelle“, war nicht abzusprechen.
Eine resche Schnellpolka seines Bruders Johann Strauss folgte, zu der eine Tanzeinlage von sechs Studierenden der Ballettakademie geboten wurde: „Auf zum Tanze“ (op. 436), wirklich melodiös. Die Bekanntheit dieser Polka dürfte nicht zu Weltrang reichen, doch hörenswert ist sie allemal. Musiziert wie „Butter“ und genauestens abgestimmt auf die Tänzerinnen und Tänzer, die sich feudal im Goldenen Saal drehten.
Auf einen großen Walzer (Spieldauer: 8 Minuten 30 Sekunden) konnte man sich mit „Tausend und Eine Nacht“ (op.346) nach Motiven der Operette „Indigo und die vierzig Räuber“ (J. Strauss Sohn) einstellen. Hier hatten vor allem die Klarinetten (wie etwa Ernst Ottensamer) viel zu tun. Fein, mit großen, ausladenden Bögen und anregend zu lauschen!
Eine wohlbekannte Polka, zu der auch immer die Hauptfiguren aus Strauss´ „Fledermaus“, Eisenstein und Rosalinde, „leiden“, rundete den offiziellen Teil des Neujahrskonzertes ab. Man gab die „Tik-Tak Polka“ (op. 365). Irgendwo spielen sie sie immer, net woar. Kompliment an die Philharmoniker und Dudamel, dass sie aus diesem Moment etwas Besonderes machten!
Eine hübsche Zugabe mit einem bei diesem Konzert unterrepräsentierten Strauss-Bruder, nämlich Eduard, stand im Raum. Letztes Jahr wurde er noch etwas mehr „gewürdigt“. „Mit Vergnügen“ (op.228) lautete diesmal sein Beitrag. Eine kleine Polka, die die Zuhörer mitriss, ehe…
…das „Geburtstagskind“ des heurigen Jahres zu seinen Ehren kam. Der „Donauwalzer“, oder wie er ganz streng, korrekt bezeichnet wird: „An der schönen blauen Donau“ (op. 314), feierte seinen 150. Geburtstag. Dudamel, ganz aufgeregt, legte sich sehr hinein und hatte den ganz pflichtbewussten, aber auch locker-melodiösen Zugang.
Den Abschluss bildete wie immer der „Radetzky-Marsch“ (op. 228), welchen Dudamel sehr exakt haben wollte und das Publikum nicht nur zum „Forte“- Mitklatschen, auch zu dem folgenden Begeisterungssturm brachte.
Bravo, Gustavo Dudamel, zu dieser Premiere!