Bach aus Eisenach! Alte Musik! Große Hitze um die dreißig Grad Celcius! Coronabedingt keine Aussicht auf ein Pausengetränk! Maskenpflicht und auch musikalisch verschleierte Tatsachen. Eckpfeiler, die ein wenig – nunja – irritierend wirken. Was aber wahrhaft dahinter steht, hat eine solide – und vor allem anderen – HÖRENSWERTE Grundlage. Zwei wahre Spezialisten für alte Musik und dazugehörige Instrumente, Klaviergröße Paul Gulda und Lorenz Duftschmid, Dirigent und Gastprofessor an der renommierten Tongji-Universität Shanghai betätigen sich am durchaus heißen Freitagabend in der Steiermark, genauer gesagt im Kunsthaus Mürz. Den Rahmen bietet der stimmungsvolle Anton-Webern-Saal (der Komponist weilte oft in Mürzzuschlag) im 2. Stock des vom Grazer Architekten Konrad Frey erdachten Kunsthauses. Die Veranstaltungs-Reihe trägt den Namen „baroque 21“. Ein Geheimtipp, möchte man sagen, eine moderne Einrichtung mit viel Glas – und feinen Nischenveranstaltungen. Auch Tobias Moretti soll hierher kommen, wenn er denn Dreharbeiten beendet hat.
Johann Sebastian Bach – der Komponist des Abends und seine keineswegs stummen Diener
Es dreht sich das Geschehen um Schöpfungen von Johann Sebastian Bach (1685-1750), Komponist, Kantor, Cembalovirtuose. Letzteres Instrument ist es, an dem Paul Gulda sitzt, nein: nicht sitzt. Das wäre sicherlich der falsche Begriff: Er bewegt sich in alle Himmelsrichtungen, lässt seine lebhaften wie auch träumerischen Blicke, wenn nicht gerade zu seinen Bühnenpartnern, in die Noten wandern. Eine Mischung aus Konzentration, Fokus und werkgerechter Entrückung, bewegt ihn. Gar will er einmal aufspringen. Man hat nicht nur einmal den Eindruck, er wolle alles, was er von der anderen Seite der Bühne, aus dem Munde von Josefstadt-Schauspieler und Autor Michael Dangl an Lyrik hört, in Musik übersetzen.
Man hört Drei Sonaten für Viola da gamba und obligates Cembalo (BWV 1027-1029), wobei BWV das Bach-Werke-Verzeichnis beschreibt, welches 1950 erstmals vom Musikwissenschaftler Wolfgang Schmieder vorgelegt wurde. Diese Sonaten, stellen explizit keinen Zyklus dar, sondern sind eben vorrangig aneinandergereiht, da es aus tonartlicher Sicht Sinn ergibt. Vermutlich liegt der Stamm der Sonaten im Gambenspiel Fürst Leopolds von Anhalt-Köthen (1694-1728), einem engen Freund und Förderer Bachs. Jedoch ist einzig die Sonate in G-Dur (BWV 1027) im Autograph erhalten und diese deutet auf eine Entstehungszeit in Bachs letzter Schaffensperiode, 1740.
Im Einzelnen handelt es sich um die Sonate in G-Dur (BWV 1027), die Sonate in D-Dur (BWV 1028) und die Sonate in g-Moll (BWV 1029). Die Sonate in G-Dur besteht aus den vier Sätzen Adagio 12/8 G-Dur, Allegro ma non tanto 3/4 G-Dur, Andante c e-Moll und Allegro Moderato ¢ G-Dur. Hierbei ist interessant zu bemerken, dass eine Fassung für zwei Querflöten und Continuo existiert, Bach gab aber der Gambe hier die oktavierte Stimme der zweiten Flöte. Bei der Sonate in D-Dur hält man sich an Adagio 3/4 D-Dur, Allegro 2/4 D-Dur, Andante 12/8 h-Moll und Allegro 6/8 D-Dur. Schließlich besteht die Sonate in g-Moll aus Vivace c g-Moll, Adagio 3/2 B-Dur und Allegro 6/8 g-Moll.
Paul Guldas und Lorenz Duftschmids Interpretation der Sonaten
Guldas Spiel ist immer lebhaft, von Harmonie und Ausdruck, von Kraft und größtmöglicher Kommunikation, von Frage und Antwort geprägt, er gebraucht seine Stimme nicht wörtlich – außer um Bach anzusagen – sondern lässt immerzu das starke Cembalo diesen Part übernehmen. Ist er am Piano, am Cembalo, am Hammerklavier zu Hause? Die Grenzen verschwimmen. Wenngleich er sich an manchen Stellen fast mimisch durchsetzen muss, wenn sein Kollege Duftschmid wieder so vertieft ist in seine Gambenstimme, dass er von Gulda nahezu eine gefühlte Minute nach Beendigung eines Satzes angelächelt wird, und es nicht zu bemerken scheint.
Bei Lorenz Duftschmid sind die eigenen, jedoch stark mit der Musik verknüpften Emotionen spürbar. Freudestrahlend, mit wachem Blick und kecken Augen, begleitet er durch Höhen und Tiefen, lässt die Viola da gamba ein zauberhaftes Spiel ausbreiten, dem man unendlich gerne zuhört. Da sind Hitze und Maske glatt vergessen. Das Instrument spricht, murmelt, betört in einer „fremden Sprache“, die Eingeweihte bejahen, Neu-Hörer bewundernd anerkennen, Profis schätzen und genießen.
Die Viola da gamba ist wörtlich übersetzt die „Beingeige“, auch „Kniegeige“. Sie kommt der menschlichen Stimme am allernächsten. Die Gambe imitiert perfekt die Stimme, was man auch bei jeder „Äußerung“ Duftschmids an diesem Abend hört. Der Gambenbogen verfügt über einen Strich, der in der Länge absolut ausreicht, die menschlichen Nuancen in der Stimme wie Trauer, Freude, Ekstase, Wehmut oder Heiterkeit spüren zu lassen.
Schier unerschöpflich in ihrer Phrasierungs-„Wut“ scheinen die Ausführenden dem geneigten Publikum die Schönheit, Feinheit und den einzigartigen Klang dieser beiden Instrumente, Cembalo und Gambe, näherbringen zu wollen.
Sehr fein kommt zum Vorschein, dass die Sonaten in der gesamten Form an ein Konzert erinnern beziehungsweise wohl aus einem solchen Bearbeitungsmodus heraus entstanden sind.
Michael Dangls akkompanierende Rezitation
Unterstützt werden die Ton-Künstler dabei von der wohltemperierten „Stimme der Poesie“, die jedoch keinem Instrument, sondern einem menschlichen Körper innewohnt. Michael Dangl komplettiert das Trio mittels erfrischender Wortbeiträge. Auch ist er offensichtlich bewegt von der Ausführung der Sonaten, und begibt sich gleich mit dem Zuschauer auf die Zeitreise. Pointiert lässt er dabei auch denselben die Worte nachspüren.
1675: Schön im Sinne des barocken Vanitas-Gedanken (auch als Parodie auf diese zu verstehen) gehalten ist ein Sonett von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau – es handelt sich eigentlich um ein Liebesgedicht.
Es wird der bleiche Todt mit seiner kalten Hand
Dir endlich mit der Zeit um deine Brueste streichen /
Der liebliche Corall der Lippen wird verbleichen;
Der Schultern warmer Schnee wird werden kalter Sand /
Der Augen suesser Blitz / die Kraeffte deiner Hand /
Fuer welchen solches faellt / die werden zeitlich weichen /
Das Haar / das itzund kan des Goldes Glantz erreichen /
Tilgt endlich Tag und Jahr als ein gemeines Band.
Der wohlgesetzte Fuß / die lieblichen Gebaerden /
Die werden theils zu Staub / theils nichts und nichtig werden /
Denn opfert keiner mehr der Gottheit deiner Pracht.
Diß und noch mehr als diß muß endlich untergehen /
Dein Hertze kan allein zu aller Zeit bestehen /
Dieweil es die Natur aus Diamant gemacht.
Besonders heraus sticht eine (humoristische) Erzählung von Christian Fürchtegott Gellert (1775): „Die Geschichte von dem Hute“, sie beginnt so:
Der erste, der mit kluger Hand,
Der Männer Schmuck, den Hut, erfand,
Trug seinen Hut unaufgeschlagen;
Die Krempen hingen flach herab,
Und dennoch wußt er ihn zu tragen,
Daß ihm der Hut ein Ansehn gab.
Er starb, und ließ bei seinem Sterben
Den runden Hut dem nächsten Erben.
Selbst ausgesucht, und innig vorgetragen wird von Dangl auch Goethes Tischlied (Goethe passt, wie Gulda eindringlich befindet, auch in Bachs Zeit). In der steten Hoffnung, wie betont wird, sich auch leiblich stärken zu können (womöglich nach intensivem Gamben/Cembalospiel/Vortrag).
Mich ergreift, ich weiß nicht wie,
Himmlisches Behagen
Will mich´s etwa gar hinauf
Zu den Sternen tragen?
Doch ich bleibe lieber hier,
Kann ich redlich sagen,
Beim Gesang und Glase Wein
Auf den Tisch zu schlagen
Es ist zweifelsfrei ein Abend, der im Gedächtnis bleibt, zum Verreisen in eine andere Zeit einlädt und einen staunend über Spiel und Wort und Begebenheit zurücklässt.